Pöbelnd in die Partei

Die Ex-Juso-Vorsitzende Franziska Drohsel sieht die Nullerjahre als große Zeit des Farbe-Bekennens.

Der Auftakt der Nullerjahre, der 11. September und der Afghanistankrieg, führten in der Linken gleich zu schwierigen Debatten. Insbesondere um das Für und Wider des Irak-Kriegs fand eine Diskussion statt, die richtig und notwendig war: die Abgrenzung gegen antisemitische und anti-amerikanische Argumentationsmuster. Gruppen sind darüber zerbrochen, trotzdem war diese Selbstreflexion natürlich ein ungeheurer Schritt nach vorne. Wie auch das Aufkeimen der globalisierungskritischen Bewegung. Ich war unter anderem 2001 beim Protest gegen den G-8-Gipfel in Genua dabei. Internethandys gab es ja noch nicht, es war oft schwierig, an Informationen zu kommen. Als die wirren Gerüchte kamen, jemand sei erschossen worden, erfuhr man erst nach Stunden, was wirklich passiert war. Um ein Haar hätten wir in der Schule übernachtet, in der die Polizei diese grauenhafte Prügelorgie veranstaltete. Armut und soziale Ungerechtigkeit sind für junge Menschen verstärkt zu echten Themen geworden, als die Hartz-Gesetze kamen. Als SPD-Mitglied habe ich das damals natürlich hautnah miterlebt: 2003 gab es die Regionalkonferenzen, in denen die eigene Partei vom Sinn der Reformen überzeugt werden sollte. Meine Juso-Genossen und ich waren in Potsdam dabei, und weil wir davon ausgingen, dass die Redelisten fingiert wären, hatten wir eine Protestaktion vorbereitet: Wir stiegen auf die Stühle, hielten ein Transparent hoch, trillerten. Dann durfte ich tatsächlich ans Pult und erklären, was wir an der Agenda falsch fanden. Drei Minuten lang. Gerhard Schröder soll hinterher angeblich nur gesagt haben: „Wer pfeift, hat dicke Backen, aber nicht viel im Kopf.“ Unser Protest war trotzdem sichtbar, und das konnten sie uns nicht nehmen.

Franziska Drohsel, Jahrgang 1980, seit 1995 bei den SPD-Jusos politisch aktiv, war von 2007 bis 2010 deren Bundesvorsitzende.

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