Poliça – Grundgefühl: Angst

Der Elektro-Soul von Channy Leaneagh alias Poliça lebt von der Spannung zwischen verführerischen Autotune-Effekten und einer unterschwelligen Traurigkeit, die doch tröstlich wirkt

Wer hätte gedacht, dass man bei einem Konzert einmal einen Autotune-Effekt vermissen würde? Im ausverkauften Berliner Magnetclub windet Channy Leaneagh, Sängerin von Poliça aus Minneapolis, ihre einprägsam helle, hohe Stimme ganz wunderbar in die komplexen Texturen ihrer beiden Drummer, den geschmeidig fließenden Funkbass und die kühl melancholischen Loops aus dem Computer. Aber sie geizt beim einzigen Deutschlandauftritt ausgerechnet mit der markantesten und ungewöhnlichsten Klangfarbe ihres vorzüglichen Debüts „Give You The Ghost“ – dem Autotune-Pedal, mit dem sie den Gesang belegt, ihn vielstimmig und zeitversetzt doppelt und schlierig verzerrt. Ein wenig paradox erhebt das Gerät, das bekanntlich im Pop seit Cher einen üblen Ruf genießt, Leaneaghs Stimme zu einer eigenartigen Wahrhaftigkeit: Während es einerseits den direkten, persönlichen Ausdruck verschleiert, gewinnt die Stimme eine instrumentale, überindividuelle Dimension hinzu.

„Genau dieses geisterhafte, körperlose Moment reizt mich“, erklärt Leaneagh ein paar Stunden zuvor. „Ich finde zum Beispiel auch Drummachines wie die 808 verführerischer und sexier als ein echtes Schlagzeug. Wobei ich mit Autotune ja nicht die menschlichen Spuren oder meine stimmlichen Grenzen verwischen will. Es raubt mir nicht die Seele, sondern bringt mir mehr Kontrolle.“ Tatsächlich erlebt der Effekt derzeit einen gewissen Boom, der sich – vor vier Jahren angeschoben von Kanye Wests großartiger Elektro-Elegie „808 and Heartbreaks“ – mittlerweile auch im Indie-Rock von Leuten wie Justin „Bon Iver“ Vernon zeigt. Aus Vernons weiterem Umfeld stammt auch Leaneaghs elektronische Inspiration. Vernon gehört nämlich zum minneapolitanischen Großkollektiv Gayngs des Produzenten Ryan Olson, der wiederum Leaneagh zu Gayngs holte, nachdem ihre Folkrockband Roma di Luna – die sie mit ihrem Ehemann führte – in die Brüche gegangen war.

Poliças Titel basieren auf Beats, die Olson vor zehn Jahren für ein geplatztes HipHop-Projekt produziert hatte. Die Gesangs-Parts, erklärt Leaneagh, habe sie mehr oder weniger spontan über die Tracks gesungen, was man in den ganz reizend schweifenden Melodielinien und den reduzierten, repetitiven Texte auch ahnen kann. „Give You The Ghost“ zeigt jedoch zugleich recht nachdrücklich, wie derzeit die musikalischen Sphären zusammenrücken. Man kann in Poliças triphoppiger Wehmut durchaus auch eine gewisse Nähe zum Neo-Goth einer Zola Jesus erkennen. Aber mehr noch fällt die Nähe zum sogenannten Hipster-R&B von Acts wie The Weeknd und Frank Ocean ins Ohr.

„Ich scheue mich ein wenig vor dieser R&B-Zuordnung, das ist schon schweres Gepäck“, sagt Leaneagh. „Aber es ist einfach meine Lieblingsmusik – vom Sam Cookes frühem Soul bis zu Leuten wie Kanye oder The Weeknd, die wir ständig im Gayngs-Tourbus gehört haben. Ihre elektronische Trauer klingt einfach so nah an unserer Zeit, in der sich alle mit Downern bedröhnen und die Stimmung entsprechend down wirkt. Der R&B öffnet sich interessanterweise in diese Indiewelt, in einen düsteren und depressiven Ort aus Drogen und Rock’n’Roll, wo er die Maske aus leichtem Glück und Sexyness ablegt.“

Der soziale Kommentar, wie ihn Leaneagh mit Roma di Luna noch explizit pflegte, hat sich gleichsam singend unter die Bettdecke geflüchtet. „Wenigstens in den USA gibt es so ein Grundgefühl der Angst und Schwermut. Was wirklich ärgerlich ist, taucht in den Texten allerdings nicht auf. Der Ton und die Stimmen klingen nur, als bekämen wir nicht genug Schlaf und nähmen zu viel Ecstasy, müde, depressiv, traurig.“

Das schafft eine so reizvolle wie überraschende Spannung. So bezaubernd nämlich Leaneaghs echte Stimme im Konzert klang: Poliças tröstlicher Soul entsteht genau dort, wo sich die einzelne Stimme in eine digitale Gemeinschaft auflöst.

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