Pop-Art-Power

Ferry, der Bandleader: 1972 explodieren Roxy Music als neue Musiksensation aus den Londoner Galerien in die Welt hinein. Und führen dem Publikum vor, wie man sich selbst zum Kunstwerk macht.

London, Oxford, Croydon, 1. März bis 25. Juni 1972: Roxy Music formieren sich, Bryan Ferry wird zum Kunstwerk.

Als Roxy Music vom britischen Rock-Establishment akzeptiert wurden und, in der zugehörigen Amtshandlung, einen Plattenvertrag bei Island Records unterzeichneten (am 2. Mai 1972), waren das letztendlich die kommerziellen Weihen für ein künstlerisches bis dahin beispielloses Projekt. Die Aura des Besonderen verdankte die Band zum Großteil Bryan Ferrys Vision: Er wollte Elemente verschiedenster Stilrichtungen miteinander montieren, aus denen – obwohl oder gerade weil die Bestandteile so unvereinbar schienen – ein neuer, originärer, besonders ausdrucksstarker Stil werden sollte. Endgültig plan- und vorhersehbar war diese Entwicklung natürlich nicht, egal, wie intelligent ihr Urheber Ferry und die beteiligten jungen Männer auch gewesen sein mögen. Das Album „Roxy Music“ – aufgenommen zwischen 14. März und 14. April 1972, finanziert von EG und produziert von Pete Sinfield – sollte als erstes voll ausformuliertes Stil-Statement allerdings genau den Prozess anstoßen, den Brian Eno erfolgreicher Popmusik generell zuschreibt: die Kreation einer neuen, imaginären Welt, die den Hörer dazu einlädt, in sie einzutreten.

Brian Eno (Keyboarder): „Lustigerweise hatte ich mich schon immer wie ein Popstar gefühlt! Schon als ich die Kunstschule besuchte, kleidete ich mich, als sei ich jemand Besonderes; ich trug seltsame Sachen, ließ mir bestimmte Kleidungsstücke extra anfertigen. Ich lebte aus dieser Haltung heraus, wenn schon nicht der eines Popstars, dann wenigstens der eines Menschen, der tun und lassen konnte, was er wollte.

Der Roxy-Music-Look war selbstbewusst und vorwärtsgewandt – nicht introvertiert. Was wir an der Bluesbewegung nicht mochten, war der ständige Rückblick, der hohe Wert von Rootsbewusstsein und Ernsthaftigkeit. Damit wollten wir nichts zu tun haben, Roots interessierten uns überhaupt nicht. So gesehen waren wir Postmodernisten: Wir dachten, dass alles, was es da draußen gab, nach Belieben von uns verwendet werden durfte – eine Palette der Möglichkeiten.“

Bryan Ferry: „Ich war der Urheber, wenn man so will, und es war meine Vision. Dennoch waren die unterschiedlichen Bestandteile entscheidend für das Endergebnis. Dass Eno beteiligt war, war immens wichtig, ebenso Andy (Mackay, Saxofonist) und Phil (Manzanera, Gitarrist), nicht zu vergessen Paul Thompson (Schlagzeuger). Wir waren vielleicht nicht die besten Musiker der Welt, aber wir hatten eine ziemlich breite Palette, mit der wir arbeiten konnten. Und ich glaube, deshalb sind einige der frühen Roxy-Sachen so stark: Sie hatten so eine Vielfältigkeit …“

Andy Mackay: „Bryan Ferry hatte eine Vision, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass selbst jemand mit so großer Vorstellungskraft wie Bryan – und man sollte seine Vorstellungskraft und seinen Ehrgeiz nie unterschätzen – absehen konnte, was passieren würde, wenn ich und Eno und Phil und Paul miteinander arbeiten würden. Ich denke, Bryan hatte eine klare Vorstellung von Roxy als einer Band, die kommerziell erfolgreich sein könnte. Auch, wenn das nicht seine Priorität war. Die Vision kam also aus seinem Kopf – doch was dann am Ende daraus wurde, muss als seltsamer Zufall betrachtet werden.“

Ein am Royal College Of Art gedrehtes Video einer Roxy-Music-Performance von „Re-Make/Re-Model“ vermittelt einen guten Eindruck davon, wie extrem die Gruppe textlich und stilistisch war, als sie in der Szene auftauchte: Bryan Ferry trägt glitzernden, smaragdgrünen Lidschatten, Brian Eno spielt seine elektronischen Instrumente ungefähr so, als landete er gerade ein Kleinflugzeug in turbulentem Wetter. Die Performance ist gleichzeitig todernst und vor Wildheit nicht zu bändigen, die Musiker wirken wie Boten einer höheren Zivilisation, vielleicht aus der nahen oder fernen Zukunft. Es scheint fast so, als seien Roxy Music – als Rockband wie als Kunstprojekt – in gewisser Weise Bryan Ferrys Alibi für einen anderen, weniger quantifizierbaren künstlerischen Akt: die Verwandlung seiner Person in ein Kunstwerk.

Phil Manzanera: „Als ich zu Roxy kam, waren viele Elemente schon da. Aber ich passte dazu, weil einige meiner Einflüsse dieselben waren. Ich stellte mir vor, ich sei Sterling Morrison (von Velvet Underground). Oder, wenn ich etwas Verrücktes spielen sollte, schöpfte ich aus meiner psychedelischen Begeisterungsfähigkeit. Aber nichts davon war konstruiert, alles geschah völlig intuitiv.

Wir sagten immer, wir seien inspirierte Amateure. Ich konnte einigermaßen mit den anderen mithalten – auch wenn sie die höheren Theorien der Kunst studiert hatten. Denn bei einer Live-Performance oder Studioaufnahme ging es ja vor allem um Energie, um ein gewisses Grundtalent und den schieren Willen, all das zusammenzubringen.“

Ausschnitte aus der TV-Sendung „London Tonight“ zeigen Roxy Music, wie sie „Ladytron“ spielen – schon der Titel ist eine pure Pop-Verschmelzung von Romantik und Technologie. Ferrys Gesangsstil ist hier einzigartig intensiv: Als er zu singen anfängt, verzieht sich sein Gesicht zu einer theatralischen Grimasse, zu einer fast grotesken Überhöhung des Lächelns eines Schnulzensängers, das immer wieder in einem erstaunt und feminin wirkenden Starren einfriert. Es scheint, als wolle er das Mikrofon mit dem Mund streicheln, blasiert, grinsend, unbewegt – in einem Moment wie die Dietrich, im nächsten wie Johnny Ray. Man muss an den übertriebenen Schauspielstil des Stummfilms denken.

Der Auftrittsstil von Roxy Music bestätigt die Theorie, dass radikal neuartige Kunst – egal, ob es um Popmusik oder Malerei geht – mit ihrer Dringlichkeit und Klarheit zuerst oft unbeholfen und sonderlich wirkt. So als brauche ein Kunstwerk, um wirklich neu zu sein, eine lebendige, erfrischende Fremdartigkeit. Eno wurde geradezu als die Verkörperung dieser Seltsamkeit empfunden; seine Beiträge bringen die bereits dicht gewobenen Schichten des Roxy-Music-Sounds in Form und schaffen einen wundersamen akustischen Raum voller filmischer und atmosphärischer Effekte. (Er amüsierte sich damit, Interviewern gegenüber zu sagen, er stamme vom Planeten „Xenon“, dessen Name die Buchstaben „eno“ enthält. Manche glaubten ihm fast.)

Sein musikalischer Beitrag beeindruckte die Kritiker jedenfalls nachhaltig. Nach dem Roxy-Set beim Lincoln Festival schrieb der ansonsten nur schwer zu überraschende „New Musical Express“: „Roxy sind eine sehr originelle Erscheinung in der Welt der immergleichen Bands – ihr Ehrgeiz ist bemerkenswert … Viele Gruppen, besonders Pink Floyd, haben in ihren Konzerten schon erfolgreich Tonbandeinspielungen eingesetzt, aber noch keine so ambitioniert wie Roxy. Der Kassettenrecorder ist integraler Bestandteil der Instrumentierung … Funktioniert das? Tadellos! … Die Sounds vom Band fügten sich in die wilde, Semi-retro-mit-Elektronik-Musik ein.“

Brian Eno: „Die Idee mit den vorproduzierten Bändern kam von mir. Ich mag es, die Atmosphäre, den Hintergrund vorzugeben – so dass ein Stück nicht einfach mit dem Einzähler beginnt. Weil sich unsere Songs sehr stark voneinander unterschieden, war es oft nötig, dass fast jeder zwischen den Stücken sein Instrument wechselte oder das Klangbild veränderte. Phil musste beispielsweise seine Gitarre wechseln und fünf andere Pedale verwenden, Bryan ein anderes Instrument verwenden, Andy vom Sax zur Oboe wechseln und so weiter. Also bestand die Gefahr, dass es zwischen den Songs eine Menge Unruhe geben könnte. Wir wollten filmisch sein, so dass das Publikum sich der Details, wie die Musik zustande kam, nicht konkret bewusst war. Die meisten Bänder enthielten übrigens Sachen, die ich vor Roxy aufgenommen hatte – als eigenständige Musikstücke.“

Nachdem das Debütalbum aufgenommen war, wandte Bryan Ferry sich dem Coverdesign zu – und holte sich dafür Hilfe von seinem früheren Newcastler Studienkollegen Nick deVille und aus dem Klüngel seiner Modefreunde aus Ladbroke. Das Ergebnis war ein Meisterwerk der grafischen Kunst – und ebenso ein visuelles Manifest wie „Re-Make/Re-Model“ ein musikalisches war. Das Coverdesign von „Roxy Music“ – sowohl das Frontfoto von Kari-Ann Muller wie auch die Fotos der Bandmitglieder, die Credits und Simon Puxleys Liner Notes im Innencover – thematisierte den komplexen Prozess, sich selbst und den eigenen Lebensstil in ein akribisch erdachtes, selbstbewusstes Kunstwerk zu verwandeln, wie es in Ferrys Kunststudenten-Milieu ohnehin beliebt war. Das Artwork warf Fragen auf zu Themen wie Geschlecht, Sexualität, Rollenverhalten, Ironie, Pop Art, Fan-Dasein, Humor, Kreativität und der kulturellen Selbstverortung.

Nick deVille: „Eine Reihe von Leuten haben mitgearbeitet, aber Bryan entwarf das Konzept und traf die Entscheidungen. Er war sehr beeindruckt von dem Konzept, unterschiedliche Rollen anzunehmen und dann wieder zu verwerfen, durch die Stilformen und Haltungen geistern – erst dies zu sein, dann etwas anderes, dann wieder etwas anderes. Noch eine andere Idee hing mit dem glamourösen Coverfoto zusammen: die Idee, dass der Gegenentwurf zum Rockstar der Fan war. Es gab diese mythische Vorstellung, dass der Star, je glamouröser der Fan war, einen umso größeren Status hatte. Der Fan wurde zum Indikator für die eigene Bedeutung. Kari-Ann sollte den idealisierten Fan darstellen.“

Ins männlich geprägte Rockmusik-Business und die ähnlich maskulin geprägte Presse brachten Roxy Music einen Hauch von Künstlichkeit – sogar Camp -, der von der Schwulenszene von Notting Hill herüberzuwehen schien. Die Bemerkung von Antony Price (Modedesigner und Ferry-Freund), dass „Mode nicht mehr oder weniger als die Ernsthaftigkeit der Frivolität“ sei, schien von Kari-Anns offenen, geschürzten und glossierten Lippen geflüstert zu werden. Die Strategie – ob gewollt oder nicht – funktionierte, jedenfalls in Hinblick auf den Vertrag mit Island. Die endgültige Entscheidung, Roxy Music unter Vertrag zu nehmen, wurde von Chris Blackwell (Island-Chef) bestätigt, nachdem er das Coverdesign gesehen hatte.

Tim Clark (Island-Mitarbeiter): „Als wir bei einem A&R-Treffen über mögliche neue Vertragsabschlüsse sprachen, argumentierte ich leidenschaftlich für Roxy – aber Chris Blackwell hielt sich erst noch bedeckt. Es sah nicht besonders gut für sie aus.

Etwa drei Tage später standen wir im Flur des Büros in der Basin Street, es war ungewöhnlich früh – etwa zehn Uhr morgens, eine Zeit, zu der man Chris sonst nie sah, weil er in der Regel bis vier Uhr morgens im Studio war. Aber Chris kam dazu, als wir das Coverdesign von Roxy Music begutachten – und es war sehr, sehr großartig, wie Sie wissen. Er sah es an und sagte ‚Ja, das ist großartig‘, und dann drehte er sich zu mir um und fragte: ‚Haben wir sie schon unter Vertrag genommen?‘ In diesem Moment wusste ich, dass ich … aus dem Schneider war.“

Nachdem die Band Anfang Mai 1972 unter Vertrag genommen worden war, erschien „Roxy Music“ am 16. Juni 1972. Von David Enthoven gemanagt, hatte die Gruppe nun zahlreiche Verpflichtungen zu erfüllen: Konzerte, Pressetermine und Radiosessions. Langsam wurden sie bekannt und traten in die eigentliche Phase ihrer Identitätsfindung ein, betreut und beaufsichtigt von Dr. Simon Puxley.

Brian Eno: „Simon Puxley war dabei, aber er war kein typischer Presseagent mit großer Eigeninitiative. Er hätte nie daran gedacht, jemanden anzurufen und anzufragen, ob sie über uns schreiben wollten – das kam ihm nie in den Sinn.

Er verbrachte Jahre damit, anzudrohen, ein Buch über Swinburne (viktorianischer Dichter) zu schreiben. Ich weiß nicht, was daraus wurde, ob er überhaupt je damit angefangen hatte. Es war eines dieser Lebensprojekte. Als Presseagent war er eine sehr interessante Erscheinung, und lustigerweise glaube ich, dass es für die Medien einen großen Teil des Charmes von Roxy Music ausmachte, dass er in seiner Funktion so unbeholfen und nutzlos war. Er war ein sehr netter Kerl – vergaß ständig, was er eben gesagt hatte, war zerstreut, hätte nie daran gedacht, auf irgendjemanden Druck auszuüben. Er war das Gegenteil anderer Presseagenten; er war geradezu unwillig, über die Band zu sprechen. Und das mochten die Leute an ihm.

Das war eine sehr wankelmütige Zeit in der Kulturgeschichte. Viele Leute machten heute dies, morgen das, man wusste nie genau, wen man wo treffen würde. So gesehen waren wir – mit jemandem wie Andy Mackay, der einen geisteswissenschaftlichen und klassisch-musikalischen Background hatte, mit Simon, der sich so sehr für die Prä-Raphaeliten interessierte, und mit Bryan, der von Pop Art und Soulmusik geprägt war – eine sehr spezielle Gruppe von Menschen, die sich gefunden hatte.“

Puxleys Begleittext für das Debütalbum fasste die Modernität und Anziehungskraft von Roxy Music treffend in Prosa und ist im literarischen Subgenre der Liner Notes in seiner Genauigkeit und seinem poetischen Wert unerreicht. Abgedruckt in einer serifenlosen Schrift, komplett in Kleinbuchstaben, mit mutiger Interpunktion, hatte die Sprache hier einen Neo-Beat-Swing, der zeigte, wie überaus sophisticated der Autor war:

„musiker liegen starr-&-fließend auf einer manierierten leinwand voller hartkantigen, schwarzledrigen funkelns, rotsatinierter pinselstriche, verrauchten schwebenden schwermuts …

… der widerklingenden musik zuhörend, die luft durchschneidend, als sei sie glas, rock’n’roll-schwergewicht übergehend in dämonisches elektronisches supersonisches mo-mo-momentum – von einem panoptischen maschinenhaufen, hi-fi oder sci-fi, wer weiß schon genau?“

Die Beziehung zwischen Ferry und Puxley ging tief. Als Presseagent war Puxley höchst exzentrisch; sein wirkliches Wesen war das eines Literaten. Hier wurde er für Bryan Ferry zu einem wichtigen kreativen Partner; aber die Drogensucht und das daraus resultierende Lebenschaos verhinderten es tragischerweise, dass er je seinen eigenen Roman schrieb.

Bryan Ferry: „Simon ist schwer zu beschreiben. Er schuf sich in meinem Leben seine eigene Rolle, als Vertrauter, Mitbewohner, Produzent und Sprachrohr. Er war auch ein wichtiger Kritiker für mich, denn er konnte mich enorm bestärken, aber auch ‚auf keinen Fall‘ sagen – egal, worum es ging. Oft schrieb ich Texte, während er im Zimmer saß, und dann fragte ich ihn: ‚Welcher Vers gefällt dir besser, dieser oder der?‘ – und in der Regel vertraute ich seinem Urteil. Wir erlebten einige schöne Abenteuer zusammen. Die Drogen wurden ihm dann zum Verhängnis. Aber er war immer da gewesen, von den ganz frühen Anfängen an …“

Am Abend des 25. Juni 1972 spielten Roxy Music, als Teil ihres mittlerweile von EG (ihrem Management) ausgearbeiteten, gut gefüllten Zeitplans im Greyhound – einem mittelgroßen Venue, das etwa 1000 Leute fasste, in Croydon, am Südrand Londons. Gegen Ende wurde der Applaus immer stürmischer, hielt immer länger an. Und dann spielte Ferry am Piano im Stakkato die Spannung erzeugenden Anfangsakkorde der allerletzten Nummer des Abends, „Re-Make/Re-Model“. Was vorher eine Konstellation von Ideen gewesen war, war nun in jeder Hinsicht zu Roxy Music geworden.

Richard Hamilton (Künstler und Ferrys Lehrer an der Hochschule): „An was ich mich bei Bryan erinnere, ist seine außerordentliche Ausstrahlung. Als ich ihn auf der Bühne sah, war ich hingerissen. Er wurde mein Idol – ich fand ihn wirklich wundervoll. Wie er die Kontrolle über das Publikum behielt. Ich dachte, ‚Er ist wie Danny Kaye – er hat’s drauf!'“

Der Erfolg der Gruppe kam schlagartig und brachte ihr ein Massenpublikum, vor allem in den großen Industriestädten im britischen Norden. Für die Zuhörer fühlte sich das an, als bekämen sie exklusiven Zutritt in eine außerordentliche Welt, in einen zwar großen, trotzdem elitären Club. Dieses Image war umso wirksamer, weil es so vage blieb – nicht mehr als eine Montage, in der man Spuren von Pop Art oder Nostalgie finden konnte, aber nie von einer konkret benannten Quelle, sondern nur in Form eines Schlagworts, eines Namens, der gleichzeitig Adjektiv und Substantiv war: „Roxy“. Es schmeckte zwar nach der Ladbroke-Grove-Hipness der frühen 1970er, war aber eigentlich eine Mutation davon. Ein Image, das nicht wirklich zu fassen war, das die eigenen Bilder ständig veränderte, kopierte, im Fluss hielt.

Carol McNicoll (Künstlerin): „Ich erinnere mich an ein bestimmtes Konzert. Als sie auf die Bühne kamen, rief eine ganze Gruppe von Mädchen neben mir fast mit einer Stimme: ‚Er trägt die Federn!‘ Sie meinten das Kostüm, das ich für Bryan angefertigt hatte – und ich hatte das Gefühl, dass ich’s wirklich geschafft hatte.

Wirklich wichtig für die Band war die Vorstellung, man könne etwas erschaffen, das ernsthafte Kunst und gleichzeitig populär war – das war das Ideal. Das gleiche galt für mich: Ich hatte dieses Kostüm entworfen, ohne Kompromisse einzugehen, ich war dabei so frei und abwegig, wie ich wollte, und trotzdem fand es die Anerkennung des großen Publikums. Wir wollten uns davon entfernen, Künstler im Sinne der Kunstszene zu sein – wir wollten sie hinter uns lassen. Also malten wir keine Bilder oder machten großen Trubel am Institute Of Contemporary Arts. Wir waren lieber draußen im 100 Club oder sonstwo, im Reich der Popkultur. Und ganz viele Leute mochten, was wir da machten.

Damals gingen viele Menschen für die unterschiedlichsten Anliegen auf die Straße, aber dennoch schien es nie einen Widerspruch zu geben zwischen dem extrem elitären Künstlerleben, das wir in ihren Augen führten, und der Freude daran, zum Beispiel zum Treffen eines Arbeiterkollektivs zu gehen.“

Die von Roxy Music geschaffene „imaginäre Aristokratie“ war ein Entwurf, den der Kulturbetrieb nun erst mal mit Leben und Begriffen füllen musste. Das galt besonders für die frühen Kritiker, die sich dem Phänomen von der literarischen Seite her näherten. In der Underground-Zeitschrift „Frendz“ begann Nick Kent seine Analyse der Band mit der semi-fiktionalen Beschreibung zweier junger Frauen namens Zelda und Mimi, die in einem Apartment in Kensington leben, Pernot oder Mint Julep trinken, Cole Porter oder Noël Coward mögen, einen Dalí an der Wand und eine Jukebox haben, die Bo Diddley und die Beach Boys spielt. In einer ähnlichen journalistischen Fantasie, betitelt „Die Bryan Ferry Story – eine Hollywood-Produktion“, veröffentlicht im amerikanischen „Creem“ im Juni 1974, wurde im „Schlussakt“ des Artikels beschrieben, wie Ferry in einem Rolls Royce auf der ringroad von Newcastle chauffiert wird, während er seinen romantischen Erinnerungen an die verschwundene Landschaft seiner Kindheit nachhängt.

Beide Artikel unterstellen, dass der unerschütterliche Stilwille von Roxy Music eine solche alchemistische Kraft entwickelte, dass sie den Bandgründer einer wundersamen Metamorphose unterzog – und Ferry, den Künstler, im Grunde zum Gegenstand seiner eigenen Kunst wie auch zu einem Kunstwerk an sich machte. Diese Vorstellung wurde durch Eric Bomans 1974 entstandenes Foto zementiert: Es zeigt Ferry im weißen Smoking neben einem Swimming-Pool im Bel Air Hotel in Los Angeles, während im Hintergrund zahlreiche anonyme, erlesen postierte Gäste (darunter auch Manolo Blahnik) die vom Sonnenuntergang gefärbte Luft mit der federleichten Konversation der High-Society zu füllen scheinen.

Dieser vom Pop befeuerte Prozess der Selbst-Neuerfindung umfasste auch den großzügigen Austausch mit den Fans, für die Roxy Music nicht nur einen bestimmten Stil vorlebten, sondern auch ein Muster zur Entwicklung eines eigenen, individuellen Stils boten. Ein von fünf Studenten des Manchester-Polytechnikums 1975 gedrehter Film namens „Roxette“ zeigt beispielsweise eine Gruppe von Freunden, die sich selbst in die glamourösen Stars ihres eigenen Films verwandelt haben – eines Films, der mit ihrem Leben identisch ist. Eines Lebens, das wiederum durch die Beschäftigung mit Roxy Music erneuert und unter das Zeichen der Kreativität gestellt wurde.

Während der Glamour von Roxy Music den Mainstream der Popkultur während der ersten Hälfte der Siebziger enorm beeinflusste, entwickelte er auch eine – allerdings viel schwächere – politische Dimension. Zum Abschluss seines Artikels in „New Society“ schrieb Andrew Weiner 1975 über Roxy Music: Als Höhepunkt seiner These beschreibt er Ferry als eine Art postmodernen Jay Gatsby, Gastgeber einer riesigen und letztlich ziellosen Stilparty im Angesicht der modernen Leere:

„Jede Menge Stil, aber kaum sichtbare Bedeutung. Weil für Bryan Ferry Stil und Bedeutung eins sind – untrennbar … Techniken der Verkleidung und Verschleierung. Techniken des Überlebens in befremdlichen Zeiten … Die spürbare Intensität, die hinter all diesen komplexen Visionen steckt, fesselt Ferrys mittlerweile enorme Anhängerschaft an Teenagern. Ferrys Publikum versteht und teilt ganz offenbar sein dringendes Bedürfnis – Träume zu leben und schließlich zu transzendieren, um eine Art Sicherheit oder Idealismus am anderen Ende zu finden, irgendeine Heimat, irgendetwas, das darüber hinaus geht, sich fein anzuziehen und keinen Ort zu haben, an den man gehen könnte, außer zu einem weiteren spektakulären Roxy-Music-Konzert … oder zu den Sperrsitzen des Roxy-Kinos.“

Kurz zuvor hatte Bryan Ferry einem Reporter der „New York Times“ ein Interview gegeben, der Roxy Music mit dem politischen Kabarett von Kurt Weill zu Zeiten der Weimarer Republik verglichen und in die Nähe einer „Post-Glitter-Dekadenz“ gerückt hatte. „Die Kids mit dem besten Stil und diejenigen, die unsere Musik lieben, kommen aus Städten wie Liverpool, Birmingham oder Newcastle“, sagte Ferry. „In England sieht man die Kids in unseren Konzerten nicht nur in Glitter und Plateauschuhen, sondern auch mit Schlips und Kragen.“

Das Bild, das sich das Bildungsbürgertum von Roxy Music gemacht hatte, tauchte auch in einer Folge der TV-Serie „Rock Follies“ auf – in der nostalgischen Rede des Oberkellners im Nachtclub „Idols“: „Erinnert ihr euch noch daran, wir haben 1974 eröffnet – das ist schon lange her. Es war der Höhepunkt der Renaissance der Eleganz – Bryan Ferry in seinem weißen Dinner Jacket, eine tolle Ära.“

Wie genau kann man den Unterschied beschreiben, entweder den Zustand totaler Coolness zu erreichen oder den Coup zu landen, zum Kunstwerk zu werden? Bei Bryan Ferry gelang das vielleicht dadurch, dass er sein früheres, künstlerisches Ich durch eine überwältigende emotionale Dringlichkeit in einen neuen Aggregatszustand überführte. Deshalb ist dies die erste große Zäsur in der Geschichte von Roxy Music: der Moment, in dem ihr Schöpfungsakt zu Ende geht.

Bryan Ferry: „Die Wahrheit ist, dass ich damals nach jedem Konzert sehr müde war – weil ich viel singen musste und mich damit selbst bestrafte. Es war harte Arbeit. Die härteste Arbeit haben immer die Sänger – deswegen werden die auch als erste verrückt. Ich mochte es zum Teil sehr, mich hinter dem Namen Roxy Music zu verstecken, weil er eine Glorifizierung ist, alles glamouröser macht. Ich fand nicht, dass mein Name besonders glamourös ist. Ich denke, ich habe damals Roxy Music zu meinem Namen gemacht.“

Der Text ist ein Ausschnitt aus Michael Bracewells empfehlenswertem Buch „Re-Make/Re-Model – Art, Fashion And The Making Of Roxy Music, 1953 – 1972“ (Faber and Faber). Übersetzung: Markus Rill.

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