Portishead: Auferstanden aus Ruinen

Ihr ebenso verstörendes wie brillantes Comeback-Album "Third" macht eines klar: Portishead wollen mehr als nur die Stammklientel zu wehmütigen Weißt-du-noch-damals-Abenden einladen. Viel mehr.

Elf Jahre später ist Geoff Barrow immer noch ein Perfektionist. Wikipedia-Einträgen über die eigene Band traut er beispielsweise nur, wenn er sie selbst verfasst hat. Und da die bei der Online-Enzyklopädie eingestellte Portishead-Biografie ausdrücklich nicht von ihm stammt, ist er wenig begeistert, dass der Text beim einzigen deutschen Pressetermin eins zu eins übersetzt als Infozettel kredenzt wird.

Soviel Zeit für Akribie außerhalb des Musikalischen hatte der in sämtliche Belange der Band involvierte Barrow zuletzt freilich selten: Leicht gemacht haben es sich Portishead ja noch nie – aber die Arbeiten am neuen Album waren nach Aussage aller Beteiligten die Hölle. Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass man sich die detailverliebte Band aus Bristol ohnehin nicht als fröhlich werkelnden Spaß verein vorstellen mag. Immerhin: „Third“, das sachlich völlig korrekt betitelte dritte Album, ist fertig. Es klingt absolut nach Portishead — und doch ganz anders.

Durchaus möglich übrigens, dass man jüngeren Leuten die Band jetzt noch mal komplett neu erklären muss. Zumal Barrow, Beth Gibbons und Adrian Utley schon früher stets eine phantomhafte Aura umgab. Elf Jahre liegt die Veröffentlichung des zweiten, selbstbetitelten Studioalbums inzwischen zurück. Beinahe zehn sind es seit „Roseland NYC Live“. Und so platzt „Third“ jetzt in eine komplett neue Generation, von der man noch nicht weiß, ob sie etwas anfangen kann mit dieser eigenartigen Band, die damals popkulturelle Subkulturen einte, und so eher unerwartert zur Konsensband wurde. Eine neue, multi-ethnische Generation von Grenzgängern jeglicher Couleur hob in den Jahren nach Punk im vergleichsweise überschaubaren Bristol noch effektiver als anderswo jedwede Segregation auf. The Pop Group waren das strahlende Leitbild, die vielen jamaikanischen Einwanderer hatten Reggae in der Stadt verbreitet, es gab eine vitale Jazz-Szene und das alles kam irgendwie zusammen. Zentralgestirn der frühen Jahre waren The Wild Bunch, eine 1982 gegründete Posse mit hoher Fluktuationsrate, der neben Mark Stewart (The Pop Group) und dem späteren Erfolgsproduzenten Nellee Hooper auch die Massive Attack-Gründer Mushroom (Andrew Vowles), 3D (Robert Del Naja) und Daddy G (Grant Marshall) angehörten. Die mythologisch verklärte Geburtsstunde der später Tnp-Hop genannten Breakbeat-Variantc mit Reggae-Anklängen, Jazz-Verweisen, HipHop- und Blues-Zitaten schlug dann laut Phil Johnson, dem Autoren der diesbezüglich einzig relevanten Schrift, „Straight Outa Bristol“, während einer Performance in der ,ArnolfiniGallerie“imJahre 1985. Alle waren da: Nellee Hooper und 3D auf der Bühne, der 14jährige Barrow und Tricky im Publikum.

Der Rest ist bekannt: Einige Jahre später sicherten erst Massive Attack und später auch Portishead ihrer Heimatstadt dauerhaft einen Platz auf der internationalen Landkarte des Pop. Eine Zeitlang kam von Garbage bis zu den Chemical Brothers beinahe niemand ohne Bristol-Konnotationen aus. Und sogar Tina Turner coverte „Unfinished Sympathy“.

Den Sprung ins neue Jahrtausend schafften die Bristol-Bands freilich nicht so richtig. Und da im Pop oft die Innovation von heute der Ladenhüter von morgen ist, legte ihre Platten irgendwann kaum noch jemand auf. Man dachte danach nur noch selten an Trip-Hop und Portishead.

Bis jetzt: 17 Jahre nach Massive Attacks „Blue Lines“ tut sich angeblich wieder was in Bristol. Der „NME“ berichtet von einer vitalen Minimal- und Dubstep-Szene, aber vielleicht passt’s ja auch nur gut in die Dramaturgie jener seltsamen Gleichzeitigkeit plötzlicher Aktivitäten der Altvorderen: Später im Jahr werden neue Alben von Tricky und Massive Attack erwartet, die damaligen Nachzügler Portishead legen ausnahmsweise vor.

Eine Überraschung: 1999 hatte die Band sich ausgezehrt nach Bristol zurückgezogen. Mit einem weiteren Album rechnete damals kaum noch jemand. Barrows Ehe war gescheitert, und vernünftige Ideen kamen ihm auch nicht mehr. 2001 dann ein – allerdings vergeblicher — Versuch, in Australien an neuen Songs zu arbeiten. „Eigentlich lief es gar nicht so schlecht, aber irgendwie waren wir nicht richtig bei der Sache“, erinnert sich der Portishead-Kopf. „Vor allem ich war völlig ausgebrannt. An Musik war nicht zu denken, also konzentrierte ich mich für einige Jahre auf andere Dinge.“

Immer noch kann man sich Familienvater Barrow übrigens ohne Probleme auf einem Skateboard vorstellen. Das Kinn wirkt nicht mehr so kantig wie einst, was freilich an seinen Bartflausen liegen könnte. Denn zu einem Vollbart reicht es bei Barrow auch mit 36 nicht. Es fällt jedenfalls schwer, sich diesen jungenhaften Mann gramgebeugt unter der Last einer verfrühten Midlife Crisis auszumalen. Und weil er das weiß, lacht er, als er sagt: „Ich hatte sämtliche Symptome einer solchen bereits mit 24.“

Barrow zog die Konsequenzen und unterzog sein Privatleben einer gründlichen Remedur. Er heiratete erneut, zeugte zwei Töchter, heute drei und ein Jahr alt, übernahm gelegentliche Remixing-Aufträge und gründete das Kleinstlabel Invada. Durch die dortige Arbeit mit jungen Bands sei der Spaß an der Musik langsam zurückgekommen, wie er sagt.

Trotz versiegter kreativer Ressourcen traf er sich weiterhin mit den Bandkollegen. Gibbons war eine Weile krank, zog nach Devon und zurück nach Bristol, wo sie bis heute mit ihrem Lebensgefährten lebt. Die Pause nutzte sie bekanntlich unter anderem für das viel beachtete Projektalbum „Out Of Season“ mit Rustin Man. Damals als Gast-Gitarrist dabei: Adrian Utley, der inzwischen eine kleine Tochter hat und ebenfalls noch in Bristol wohnt. Nachdem der Altersunterschied früher ein Problem gewesen sei und er insbesondere Gibbons nie richtig hätte einschätzen können, seien sie tatsächlich Freunde geworden, berichtet Barrow.

2004 schließlich wurde das komplizierte Projekt drittes Album konkreter. Barrow schraubte monatelang an Beats und Samples, kaufte hunderte von Platten, wie er dem „Observer“ verriet, und begab sich auf eine mühselige, mitunter schmerzhafte Odyssee auf der Suche nach dem richtigen Sound. Erste Ergebnisse ließen wenig hoffen: Portisheads Cover-Beitrag für einen Serge-Gainsbourg-Tribut vor einigenjahren war nicht mehr als eine Routineübung, frühe Demos auf der Myspace-Seite ließen die alte Magie vermissen.

Aber es war ja auch nicht leicht: Stets hatten Portishead sich durch Innovationsleistungen ausgezeichnet. Aus heutiger Sicht klingen viele der frühen Tunes und insbesondere das archetypische Scratching jedoch altbacken. Zudem wurde der typische Sound der Band derart von Nachahmern und der Werbung ausgeschlachtet, dass ein anderer Ansatz unabdingbar geworden war. Portishead neu zu erfinden ohne die alten Stärken zu verleugnen sei denn auch die größte Herausforderung gewesen, bestätigt Barrow. Und weiter: „Das Konzept des Selbstwiederholens war nie interessant für uns. Wäre ja auch Unsinn: Wenn jemand Musik wie zu Zeiten von ,Dummy‘ hören will, braucht er ja einfach nur, Dummy‘ aufzulegen. Wir haben diese Platte gemacht, warum zum Teufel sollten wie das noch mal tun?‘ Folglich suchte der Klangarchitekt nach Inspiration. Prog-Rock, die Silver Apples und Drone-Metal habe er gehört, Bands wie SunnO))) entdeckt und Filme von John Carpenter angeschaut. Vor allem aber wurde unendlich viel geredet: „Wir verbringen mehr Zeit mit Gesprächen als mit der Musik selber.“

Nicht so viel reden sie offenbar über Gibbons‘ Texte. Dass „The Rip“ mit der Zeile „White horses, they will take me away“ eine Stones-Referenz enthält, will er noch gar nicht gemerkt haben. Leben kann er mit der Ehrerweisung aber gut: „Das ist einer meiner Lieblings-Stones-Songs, da muss ich Beth unbedingt drauf ansprechen.“ In der heutigen Zeit vermisse er Bands von ähnlich eigenständigem Charakter, ein Versäumnis, dass er vor allem den Platte närmen anlastet, die immer nur „die nächste James Blunt-Kopie unter Vertrag nehmen wollen“. Nach Barrows Meinung eine der Hauptursachen für die Krise der Tonträgenndustrie.

Auch wenn Gibbons ihre Texte also alleine verfasste und Barrow nur darauf achtete, ob Worte und Phrasierungen rhythmisch passten, funktionierte die Portishead-Kernbesetzung bei den Aufnahmen mehr denn je als eine Einheit. Mal brachte Beth einen kompletten Song mit, mal Adrian ein Gitarrenriff, dann wieder Geoff einen neuen Beat. 2005 stellten sie ein Festival für die Opfer des Tsunami zusammen, und als es danach wieder ins Studio ging, hatten sich aus den verschiedenen Arbeitsphasen immerhin sieben Tracks angesammelt. Siegesgewiss kündigten sie das Album bei der Plattenfirma noch fürs gleiche Jahr an, gingen erneut in Barrows Heimstudio — und verwarfen nach ein paar weiteren Wochen Arbeit die Hälfte der eigentlich abgeschlossen geglaubten Tracks. So verstrich Deadline um Deadline (alle selbst gesetzt, Universal ließ die Band laut Barrow während der elfjährigen Pause stets in Ruhe).

Das Seuchenjahr 2006 warf nicht einen brauchbaren Song ab. Allerdings sei jene überwiegend von Frustration und Hilflosigkeit geprägte Phase nicht derart in Selbstgeißelung ausgeufert wie noch zu früheren Zeiten üblich, berichtet Barrow stolz. Man fühle sich heute selbstsicherer und stärker als je zuvor und akzeptiere Rückschläge als Teil des künstlerischen Prozesses: „Wir geben uns nicht mehr automatisch selbst die Schuld und zweifeln an den eigenen Fähigkeiten, nur weil’s mal eine Weile nicht läuft.“ So richtig platzte der Knoten erst vergangenes Jahr: „Nachdem wir ewig wie gelähmt von unserer eigenen Unfähigkeit waren, gelangen uns plötzlich weitere Songs. Irgendwann arbeiteten wir dann parallel an zehn oder elf Tracks und sahen endlich Land.“

Die nun einsetzende relative Erleichterung beflügelte Barrow zu einigen Einträgen in seinem MySpace-Blog. Nachdem er dort im August 2007 zunächst Britanniens neuen Produzentenstar Mark Ronson disste, folgte ein Kommunique in eigener Sache: „It is friday again. We are behind a bit but it’s sounding good.“ 17 Jahre nachdem eine ehemalige Kneipensängerin, ein halbgescheiterter Jazz-Virtuose und ein unbeleckter Teekocher aus Suburbia Portishead gegründet hatten, war der Weg zum dritten Album also frei.

Geoff Barrow 1988 scheiterte der zwei Jahre zuvor nach Bristol gezogene Blue-Note-Freak Adrian Utley-heute anerkanntermaßen einer der besten Jazz-Gitarristen Englands – zunehmend an seinem ursprünglichen Ziel, auf seine Weise den Großtaten John Coltranes nachzueifern. Es sei reine Zeitverschwendung, fand der damals 31-Jährige, sich an den alten Jazzern zu messen, da man ja doch nie zu ihnen aufschließen, sie allenfalls schlecht imitieren könne.

In dieser Situation lernte der Gitarrist einen weiteren Mieter der Coach Studios kennen, wo auch Utley einen Proberaum unterhielt: Geoff Barrow war zu jener Zeit ein 17-jähriger Skater. DJ und HipHop-Addict— und leider nicht halb so cool, wie es diese in der Achtziger-Subkultur noch raren Hobbys vermuten lassen. Ganz im Gegenteil entsprach Barrow eher dem Klischee vom introvertierten Nerd mit überschaubarem Freundeskreis und ‚wenig Kontakten zum anderen Geschlecht. Nächtelang vertiefte er sich mit Vorliebe in seine Sammlung aus Public Enemy-, Can- und Techno-Platten.

Zudem kam Barrow, im Gegensatz zu hard-boilern wie Tricky, nicht aus den sozialen Notstandsgebieten Bristols. Ursprünglich aus Western-super-Mare stammend, verbrachte er seine Jugend nach der Scheidung der Eltern im suburbanen Portishead. Das Kaff, in dem Barrows Mutter bis heute wohnt und dem seine Band ihren Namen verdankt, ist eine dieser typisch britischen Satellitenstädte. Am Wochenende übernehmen die Binge-Trinker die Regie auf der im scharfen Kontrast zum industriell geprägten Ambiente der sonstigen Gegend stehenden Strandpromenade.

Trotzdem machte sich Barrow einen Namen – zunächst als Teekocher im Coach House und Co-Produzent von Trickys erster Solo-Aufnahme, dem Track „Nothing’s Clear“. Später außerdem – ungleich wichtiger! – durch seine Mitwirkung an Massive Attacks“.Blue Lines“, mithin diis prägende Trip-Hop-Album. Mit Utley gemeinsam war Geoff die Begeisterung für die Soundtrack-Arbeiten Nino Rotas, John Barrys und Ennio Morricones, von der ausgehend sich ein beiderseits profitables Arbeitsverhältnis entwickelte. Der ausgewiesene Nicht-Musiker Barrow bewunderte Utley für seine dezidierten Jazz-Kenntnisse und technischen Fertigkeiten, Utley wiederum ließ sich in Produktionstechniken und die Welt des HipHop einführen.

Zwei Jahre später begann Barrow dann lose mit der damals 25-jährigen Spelunken-Sängerin Beth Gibbons zu arbeiten. Kennen gelernt hatten sie sich – reichlich unglamourös, aber passend zu Musik und Stadt – auf einer Informationsveranstaltung für Arbeitslose. Ihre Tage verbrachte Gibbons bis dahin im Wesentlichen damit, an verrauchten Abenden mit wechselnder Begleitung Janis Joplin-Songs zu intonieren.

Im Prinzip hat sie später genau da weitergemacht: Mit den Zigaretten, dem Wein auf der Bühne und natürlich den Klageliedern. Nur eben vor größerem Publikum. Es schien nie eine tiefenpsychologische Meisterleistung notwendig, um diese Frau zu deuten. Es lag ja alles offen vor einem. In den Texten, die doch eher Abgründe waren. Und sind: „Third“ ist — mehr denn je – eine Ansammlung schiefertafeldunkel grundierter Schlünde der Verzweiflung, kongenial inszeniert von Barrow und seinen endzeitlichen Klangskulpturen. Und doch ist Beth Gibbons im Prinzip ein Phantom geblieben. Bis heute. Weil sie selten Interviews gab und gibt, hat sie die Deutungshoheit über ihre Person stets der Öffentlichkeit überlassen. Und die wollte natürlich in ihrer Authentizitätsgläubigkeit lieber eine staubig verdörrte Asphaltdistel als eine ambivalente, aber durchaus starke Frau, die eben nur einen Teil ihrer Persönlichkeit in der Kunst abbildet.

Fragt man Barrow, ist sie von beidem ein bisschen: „Sie ist oft frustriert und deprimiert. Sie neigt dazu, sich selbst und alles andere in Frage zustellen, die Dinge überzuanalysieren. Aber das ist eben nur eine Seite ihrer Persönlichkeit. Außerdem ist sie nämlich auch ein sehr starker Mensch mit unverrückbarer Meinung und genauen Vorstellungen.“ Wahnsinnig kreativ, inspirierend und nicht zuletzt von wunderbarem Humor sei Gibbons; er stelle freilich in Zweifel, dass diese Teile ihrer Persönlichkeit genug gewürdigt würden. Beim Münchner Konzert vor einigen Wochen wirkte Gibbons ein bisschen gelöster-und vor allem nüchterner! – als früher. Es scheint, als habe sie inzwischen eine gesunde Distanz zu ihren Themen aufgebaut, was der Qualität ihrer Darbietung indes keinen Abbruch tut die ist immer noch bar aller Stofflichkeit pure Magie.

Als Barrow Gibbons erstmals traf, verfügte diese bereits über einige Songs und er über die Fähigkeit, diese aufnehmen und veredeln zu können. Und als es darum ging, die Lieder umzusetzen und einzuspielen, erinnerte er sich seines alten Studiokollegen. Auch wenn die schließlich 1991 gegründeten Portishead (ursprünglich nur für den Soundtrack des Films „To Kill A Dead Man“) in den Anfangsjahren als Duo vermarktet wurden: Der in alle kreativen Prozesse eingebundene Adrian Utley war und ist unabdingbarer Bestandteil der Band.

Diesen Haufen durchschnittlicher Typen als eleusinische Hipster-Truppe zu verkaufen, warf gewisse Probleme auf. Chronist Johnson zitiert Tony Crean, den damaligen Chef fürs internationale Geschäft von Portisheads erster Plattenfirma Go!-Disc: „Wir hatten eine Band, die sich zunächst weigerte, live zu spielen und keine Interviews geben wollte — daraus mussten wir was machen.“ Und das taten sie: Am Tag der Veröffentlichung von „Dummy“ wurde ein Haufen mit dem Buchstaben „P“ auf den Leib gepinselter Models über ganz London verteilt. Derartige Maßnahmen zementierten gemeinsam mit der Musik das mystische Image der Band. Der zunächst landesweite und später internationale Durchbruch mit Millionen verkaufter Alben erfolgte schließlich infolge eines TV-Auftritts bei Jools Hollands „Later Television Show“. Sie konnten also doch live spielen!

Von derartigen Mogelpackungcn haben Portishead sich heute ebenso emanzipiert wie vom stets ungeliebten Trip-Hop-Label. Auf die Interviews hat Barrow sich gefreut, aber Foto-Sessions hasst er immer noch. Umso ausführlicher nun die Auseinandersetzung mit der Musik: Ein reiner Technokrat war Geoff nie, aber jetzt hat er mit seinem 24-spurigen digitalen Aufnahmesystem Radar („klingt natürlicher als Pro-Tools“) Klänge geschaffen, die noch songdienlicher als früher die perfekte Symbiose mit Utleys Gitarrenarbeit und Gibbons‘ Gesang eingehen. Bestes Beispiel: „Machine Gun“, vielleicht die kompromissloseste Single-Auskopplung in in der Geschichte des Pop. Alles strebt in quälender Agonie auf eine Auflösung hin, die dem Hörer schließlich gewährt wird in Form einer nur wenige Sekunden andauernden Analog-Synthie-Sequenz. Immer wieder entschleunigen Portishead ihre Songs auch an anderer Stelle auf derart drastische Weise. So klingt etwa das von Gruft-Kirmesorgeln getragene „Small“ wie ein zu langsam abgespielter Doors-Song mit spooky Prog-Gitarren – eine ächzend quietschende Geisterbahn-Sinfonie.

Es gibt Gäste: Team Brick, ein experimenteller Tüftler aus Bristol und Freund von Barrow, hat ein bisschen gesungen. Will Gregory von den Portishead-Epigonen Goldfrapp spielte Saxophon. Vor allem ist „Third“ aber eine geschlossene Teamleistung einer Band, mit der keiner mehr gerechnet hätte- mit einem Sound, mit dem keiner gerechnet hätte. Wütend seien sie gewesen. Über ihre Unfähigkeit, einfach nur eine Platte aufnehmen zu können, ohne über die eigenen Belastungsgrenzen zu gehen. Und diese Wut hat sich kanalisiert in ihrer bislang abgrundtiefsten, aber auch überzeugendsten Arbeit. Nicht zuletzt sei das Werk als Kommentar zum Zustand der Welt zu sehen, sagt Barrow. Also eine politische Platte nach Portishead-Manier. Ob sie es damit wieder zur Konsens-Band bringen? Unwahrscheinlich. Aber die Köpfe der Menschen werden sich erheben und die Münder sich öffnen. „Nenne mir nur eine Band da draußen, die so etwas wie ,Machine Gun‘ schon einmal gemacht hat“, fordert Barrow zum Abschied. Uns fällt tatsächlich keine ein.

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