Portishead und ihr Meisterwerk „Third“: So klingt unsere Welt heute

Die Arbeiten an der dringlichen dritten Platte der Band waren ein bisschen wie die Serie „Lost“.

Die musikalischen Moden der 6oer, 70er und 80er Jahre haben uns an diesem Punkt der Popzeitrechnung längst eingeholt. Da ist kein Weg weiter als der zurück in die Neunziger. Nichts klingt heute älter und überholter als Grunge. Brit-Pop, Trip-Hop… Klar, es wird nicht mehr lange dauern, his auch diese Ästhetiken uns wieder heimsuchen. Auf den Straßen von Brooklyn wurden schon erste Holzfällerhemden gesichtet, und nun erscheint, elf Jahre nach dem letzten Studioalbum, ein neues Werk von Portishead.

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Kann eine Band, die einst die Musik zur Zeit machte, ein Jahrzehnt später überhaupt noch irgendwas bedeuten? Oder müssen wir uns in der nächsten sentimentalen Retro-Bewegung einrichten, die 6os-Filmposter rauskramen, die Lounges entstauben, die Kaffeetische freiräumen?

Kriegerische Wirklichkeit

Die Arbeit an diesem Album sei ein bisschen wie die US-Serie „Lost“ gewesen, erklärte Geoff Barrows dem englischen „Guardian“, „a never-ending journey with few answers“. „Machine Gun“, die erste Single (mittlerweile ja eher ein symbolischer Akt als ein Tonträgerformat), gibt die entscheidende Antwort auf unsere Fragen allerdings schon beim ersten Hören preis.

Portishead wissen durchaus, wie die Welt heute klingt. Der minimalistische Track, der das künstlich nachgebildete Dauerfeuer eines Maschinengewehrs mit einer „Blade Runner“-Synthie-Melodie verschmelzt, bildet die medial inszenierte (kriegerische) Wirklichkeit ab, taugt als Dystopie und verweist zugleich auf die als found sounds auf dem letzten M.I.A.-Album „Kalo.“ eingebauten Schüsse.

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Es wäre eine kalte Welt, die Portishead hier abbilden, wenn da nicht die Stimme von Beth Gibbons wäre: „I saw a saviour/ A saviour come my way/ I thought I’d see it/ At the cold light of day/ But now I realise that I’m/ Only for me.“ Ein Anti-Gospel.

„Third“ ist kein Update des Trademark-Sounds, keine lineare Weiterentwicklung, „Third“ ist unverkennbar Portishead und ist doch ganz anderes, hat eine Intensität, ja, Körperlichkeit, die man auf den ersten beiden Alben nirgendwo findet. Etwa wenn Adrian Utleys brachiales Riff ,We Carry On“, dem verstörenden Höhepunkt dieses überwältigenden Albums, von einem dunkel pulsierenden Elektronik-Track in ein massives Industrial-Stück verwandelt.

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Trippige Beats stellen die Verbindung zur Portishead-Vergangenheit her, tauchen allerdings in Reinform nur äußerst selten auf: im Eröffnungsstück „Silence“ vielleicht, im chansonesken „Nylon Smile“ und in „Magic Doors“, das die Tür in die Neunziger zu öffnen scheint und die alte Magie von „Sour Times“ versprüht.

Weitaus öfter fühlt man sich auf „Third“ an das impressionische „Out Of Season“ erinnert, das Beth Gibbons 2002 mit Rustin Man Paul Webb aufnahm. „Small“ zum Beispiel beginnt als Folk-noir-Klage zu brummendem Cello, erst gegen Ende mischen sich eine schwere Prog-Orgel, psychedelische Gitarre und kratzige Elektronik ein. In „The Rip“ tanzen die weißen Pferde der Apokalypse zu „Wild Horses“ von den Stones, in „Deep Water“ wagt Gibbons sich zur Ukulele in ungeahnte Höhen und klingt dabei wie Elizabeth Cotton.

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Immer wieder flüchtet ihre gequälte und verwundete Seele auf „Third“ vor elektronisch erzeugtem Hubschrauberlärm, Fliegeralarm und Ego-Shooter-Sounds in solche Folkwracks und Chansonruinen. „I stand on the edge of a broken sky/ And I will come down; don’t know why.“

Das dritte Siegel ist gebrochen, und wir sehen den Himmel offen.

Diese Rezension erschien im ROLLING STONE zur Veröffentlichung von „Thrird“ im April 2008. Ein Artikel aus dem RS-Archiv.

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