Private Tragödien stellten die globalen in den Schatten – und Kontrollfreak DAVID GRAY ins Abseits

Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass man neue Erfolge feiern und trotzdem ziemlich der Alte bleiben kann: David Gray wäre ein Beispiel aus dem Musterhaus. Wortkarg hat ihn der große Durchbruch in die Platin-Liga mit dem letzten Album „White Ladder“ jedenfalls nicht gemacht Kaum ist ein Stichwort gefallen, kaum die Frage gestellt, da sprudelt der nette Brite in einem Nord-Londoner Rehearsal-Studio gleich bei ihm um die Ecke immer noch drauflos, als gäbe es kein Morgen. Und um eine Meinung ist Gray ja auch nie verlegen.

Neil Youngs „Let’s Roll“ etwa ist für ihn schlicht ein „Schlachtruf und dazu noch „eine musikalische Gräueltat“. Wie es überhaupt „geschmacklos“ sei, „wenn Songschreibersich in der Tragödie und Tiefe dieses entsetzlichen Ereignisses suhlen“. Gray räumt ein, dass auch er nach 9/11 „in der Hitze des Moments“ der Versuchung erlag. Aber nur kurz. „Ein paar Tage später, als ich mir den Song anhörte, dachte ich nur: Wie lächerlich!“ Er sei, so Gray, einfach „zu nah an etwas zu Großem“ drangewesen. Genauso wie diese Welt „im Prinzip der gleiche brutale Ort wie zuvor“ geblieben sei, so handle doch „nach dem 11. September alles auf die eine oder andere Art und Weise davon“.

In der PR-Kampagne für sein neues Album „A New Day At Midnight“ musste er sich denn auch prompt mit eifrigen Journalisten rumschlagen, die hinter einem persönlich motivierten Song wie „Dead In The Water“ gleich wieder die globale Katastrophe wähnten. Gray konzidiert, dass der Text „einen gewissen antireligiösen Subtext“ habe, vermutet aber noch ohne genügend Distanz -, dass „ich da vielleicht über meinen Vater schreibe“ – der unlängst dahinschied. Für Gray nicht der einzige Anlass, erstmal vor und hinter der eigenen Tür zu kehren, die jetzt zum eigenen Haus gehört Das steht aber nach wie vor nahe Islington, wo Gray seit Jahren zuhause ist. „In West-London komm ich mir wie ein Alien vor. Alle sehen aus, als ob sie beim Fernsehen sind. Ein furchterregender Ort!“

Nicht ganz so furchterregend wie der Gedanke, dass seine Frau nach der schweren Geburt der ersten Töchter beinahe dem Vater gefolgt wäre. „Das war schon ein Trauma. Aber jetzt läuft alles normal – was immer das heißen mag.“ Gerade drei Songs des neuen Albums waren abgemischt, als die lebensbedrohlichen Komplikationen einsetzten. Also musste Gray den Rest notgedrungen seinen Studiomitstreitern anvertrauen. „Da saß ich dann mit einem schreienden Baby auf dem Arm, den Kopfhörer auf, und erzählte ihnen am Telefon, dass sie das ein bisschen runtermixen und da vielleicht das andere Arrangement nehmen. Ich bin ein Kontrollfreak.“ Als junger Vater hat er nicht den schlechtesten Zeitpunkt gewählt, um sich damit anzufreunden, dass man eben nicht alles so kontrollieren kann wie die Knöpfe auf einem Mischpult.

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