Punk in der freien Marktwirtschaft

Nun haben die Toten Hosen gelernt, wie Marktwirtschaft funktioniert, darüber aber keineswegs verlernt zu musizieren

Ein unschöner Fehlstart ins neue Jahr für Campino: zu Gast in der Harald-Schmidt-Show, Deutschlands scharfzüngigstem Talkmaster zum Fraße vorgeworfen. Die Silvesterfeier noch in den Knochen, parierte er mehr oder weniger schlagfertig Schmidts Sticheleien und nett verpackte Bosheiten. Als SAT 1 das neue Video der Toten Hosen dann entgegen aller Absprachen nur ein paar Sekunden lang sendete, wurde die Hose ausfallend – und „Dirty Harry“ (Schmidt über Schmidt), in die Enge getrieben, desavouierte Campino als Talk-Touristen. Da lief das peinliche Geharke endgültig aus dem Ruder und wirkte wie (allerdings schlecht) eingeübt. Am Ende dann sahen beide ziemlich alt aus. Campino später: „Wenn ich in Form gewesen wäre, hätte ich ihn weggeblasen.“

Die Tagespresse wertete tags darauf diesen Schlagabtausch als Punktsieg für Campino, doch dessen ungeachtet war ihm beim Interview einige Tage später deutlich anzumerken, wie sehr ihn die Attacken Schmidts getroffen hatten. Da präsentierte sich der nur scheinbar abgebrühte Talk-Show-Profi so dünnhäutig, gereizt und nervös, wie man ihn in den vergangenen 15 Jahren nicht erlebt hatte. Und wer geglaubt hat, „der Prediger“, so sein bandinterner Spitzname, hätte irgendwo zwischen der Promi-Runde in „Max“, bei Hape Kerkelings „Warmumsherz“ oder im Big Business seine Leidenschaft und Integrität verloren, der irrt. Campino ist Campino geblieben: gewieft, aber nicht abgewichst. Auch geschäftlich.

Nachdem ihr Vertrag mit Virgin Records ausgelaufen war, haben die Toten Hosen im vergangenen Jahr mit ihrem Manager Jochen Hülder „Jochens kleine Plattenfirma“ (JKP) gegründet. „Weil wir seit jeher unsere Marketingpläne, unsere Cover und alles andere selber bestimmt haben – was normalerweise der Part einer Plattenfirma ist“, wollten sie nun auch der vollen Arbeit Lohn.

Für Campino ist die Gründung von JKP „nur ein weiterer konsequenter Schritt“ in Richtung Selbstbestimmung. Ihre eigene Konzertagentur und ihren eigenen T-Shirt-Drucker – alles Freunde der Band – hatten sie bereits. Nun also auch noch eine eigene Plattenfirma, deren Radio-Promoter nicht gleichzeitig noch ein neues Album von Nicki anpreisen muß. Und für die Hosen geht’s um alles oder nichts: „Wir sind 15 Jahre lang die Deppen gewesen, haben uns den Marktregeln angepaßt Jetzt nehmen wir die Sache selbst in die Hand und spielen noch mal voll va banque.“

Hoch dotierte Plattenverträge haben sie dafür ausgeschlagen: „Ich bin eben noch nicht Rentner genug, um zu sagen: ,Okay, Leute, hier ist mein Tape, macht was draus, überweist mir die Kohle.Und die hätte gereicht, daß ich nun schön in meinen Sessel pupsen könnte. Ich möchte aber nicht Angestellter in einem Kaufhaus sein, ich möchte lieber meinen eigenen Tante-Emma-Laden haben.“

„Opium fürs Volk“ heißt das neue Album, das nun – mit Hilfe eines Major-Vertriebs – auf den Platz 1 der Charts gepusht werden soll. Ein Vorhaben, das von der Plattenindustrie ängstlich beäugt wird, weil dieser Schritt, den übrigens auch die Kelly Family getan hat, das ganze System in Frage stellt Was, wenn die Toten Hosen zum dritten Mal – diesmal aber aus eigener Kraft, Nummer 1 werden? Was, wenn das Beispiel Schule macht und auch Grönemeyer, die Prinzen oder die Fantastischen Vier ihre eigenen Firmen gründen? Degenerieren die großen Plattenfirmen dann zu reinen Vertriebssystemen? Wenn JKP scheitert, stehen die Hosen allerdings dumm da. Kein Wunder also, daß Campino nervös ist und sich durch Fragen nach seiner Glaubwürdigkeit provozieren läßt; doch bei allem Punk weiß er sich zu benehmen – und entschuldigte sich am Tag darauf beim Interviewer. Wenn „Opium fürs Volk“ kein Hit wird, „müssen wir die Zeche zahlen“.

Die Gefahr eines Mißerfolges ist aber denkbar gering: allein schon die Zahl der Vorbestellungen zur Sofort-Versorgung der unzähligen treuen Hosen-Fans dürfte der Band Platin sichern. Höchstens verdutztes Aufhorchen seitens der Fans ist zu erwarten, wenn zwischen Gewohntem plötzlich die Münchner Philharmoniker, ein Dudelsack, eine Flöte, eine Mundharmonika oder ein Klavier zu hören sind, wenn ein Dub („Ewig währt am längsten“) oder ein herrlich pumpender Techno-Rocker („XTC“) aus den Boxen dröhnt, wenn die Hosen auf der Vbrab-Single „Nichts bleibt für die Ewigkeit“ die Kirche ins Gebet nehmen oder gar das „Vaterunser“ singen.

Mit christlicher Rockmusik hat das, Gott bewahre, nichts zu tun, obwohl der Hosen-Prediger in der Woche nach unserem Interview in der Benediktiner-Abtei Königsmünster einen Vortrag hielt, in dem er für sich „diese Sache mit der Kirche abhandeln“ wollte: „Ich schließe nicht die Existenz eines Gottes aus. Ich komme aber mit dieser Kirche nicht klar. Und ich bin nicht bereit, nur deshalb auf meinen Dialog mit dieser anderen Dimension zu verzichten“, begründet Campino seinen überraschenden „Disput mit der Kirche“.

Daß sie sich bei aller Nachdenklichkeit noch auf aggressive Gassenhauer und ironische Karnevalsschlager, schräge Sauflieder und eingängigen Rock’n’Roll verstehen, zeigt ein Song wie „10 kleine Jägermeister“, mit dem sie all jene verulken, die sich immer noch am Hosen-„Bommerlunder“-Hedonismus reiben und den ironischen Populismus nie begriffen haben.

Die Hosen sind nun mal selbst Opium fürs Volk. Und die Ramones wußten schon, warum sie die Düsseldorfer Punks zu ihrem Abschiedskonzert nach Südamerika eingeladen haben: damit beim Seniorentreffen die Erde bebt.

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