Allein sind sie alle :: „Generation X -Autor Douglas Copeland sucht nach neuen Wörtern für die Einsamkeit. Und findet dabei ein Happy End
Wenn ein Mann im Krankenhaus für einen Transvestiten gehalten wird, weil er zufällig nach dem Besuch der „Rocky Horror Show“ einen Kollaps erlitten hat, wenn eine Frau die Bröckchen eines abgestürzten Satelliten aufsammelt und so aus Versehen den Frankfurter Flughafen radioaktiv verseucht, und wenn dann noch ihr großer Bruder außergewöhnlich alten Menschen Blutproben abkauft, damit Genforscher dem Geheimnis des ewigen Lebens näher kommen- dann kann jeder auch bei Windstille riechen, dass Douglas Coupland wieder einen Roman fertig hat. Oder einer der vielen, die ihm seit 15 Jahren hinterher schreiben.
Die Art von psychosozial-popkulturellen Show-Effekten kennt man ja zur Genüge von ihm. Und dass Coupland mit elf Romanen und sieben Reportage-Büchern einen Hang zur Über-Produktivität hat, könnte mit daran schuld sein, dass er dem Publikum etwas vom Radar gerutscht ist. „Eleanor Rigby“ (Hoffmann&Campe), von 2004, ist erst jetzt auf Deutsch erschienen – ähnlich war es, wenn auch aus anderen Gründen, mit seinem Standardwerk „Generation X“ (1991). Meist als reine Satire auf den Hyper-Kapitalismus nach dem Kalten Krieg verstanden, im Kern jedoch eine Studie darüber, wie das Erzählen von Geschichten die klaffenden Sinnlöcher im Dasein stopft. „Eleanor Rigby“ ist einer der weniger hektischen und offensiv postmodernen Versuche Couplands. Den Titel nimmt das Buch aus der Mail-Adresse der Protagonistin Liz, die sich selbst mit größter Überzeugung als eine der „lonely people“ zelebriert: sozial untalentiert, ohne Freunde, ohne Antrieb. Überraschend begegnet sie ihrem verschollenen Sohn, den sie auf der Klassenfahrt in Rom beim ersten und einzigen Geschlechtsverkehr gezeugt hatte. Es kommt wie im Melodram erwartet: Der Wiedergefundene krempelt die Welt der Mutter um, bevor er viel zu früh stirbt.
Man stellt sich vor, dass der 45-jährige Douglas Coupland — auch bildender Künstler und Drehbuchautor —in Vancouver vor sechs Fernsehern und fünf Internet-Bildschirmen sitzt und alles mitschreibt. Die Interviewfragen hat er tatsächlich kaum 24 Stunden nach dem Wegmailen wundervoll beantwortet, obwohl er eben aus Japan kommt und schon auf dem Sprung zum nächsten Film-Set ist. Anders als seine Hauptfigur hat der Künstler ja keine Wahl: Er muss allein sein, um etwas hinzukriegen. Obwohl Einsamkeit allgemein als Zeichen des Scheiterns gilt.
„Ganz richtig“, schreibt Coupland. „Besonders zwischen 20 und 30. So viele sind wahnsinnig einsam in diesen Jahren, aber weil es kein geeignetes kulturelles Vokabular gibt, um diese Gefühle zu beschreiben, denken die Leute stattdessen, sie wären verrückt. Meiner Meinung nach brauchen wir ungefähr ein Dutzend neuer Wörter, um verschiedene Nuancen der Einsamkeit zu beschreiben. Und wir müssen einsehen, dass sie nicht unbedingt etwas Schlechtes ist.“
Die mythischen Untertöne in „Eleanor Rigby“ sind typisch, aber der wiedergefundene Sohn erscheint in so vielen Details als Jesus-Figur, dass man schon fragen muss: Hat das in „Generation X“ eingeführte Geschichtenerzählen mittlerweile auch eine religiöse, spirituelle Dimension bekommen? Die Jesus-Sache sei reiner Zufall, schreibt Coupland. „Aber als ich 1980 in Deutschland war, habe ich an den Sonntagen immer unfassbare Angst bekommen: Es war, als hätten sie das ganze Land einfach dicht gemacht. Wo sind alle hin? Unter der Woche gibt es viel zu erledigen, man geht hier und dort hin
aber am Sonntag ist es so, als ob alle Lebensgeschichten plötzlich abbrechen. Nach Weihnachten sind die Menschen sehr, sehr froh, wenn die Welt im Januar wieder anspringt. Im Alltag brauchen wir dringend die stringenten Geschichten, die uns antreiben. Wenn man dagegen die Menschheitsgeschichte betrachtet, haben die Mythen diese Funktion.“
Genau das werden viele an „Eleanor Rigby“ mögen: dass der oft so zynische Coupland ein Happy End zulässt. Es ist auch die entscheidende Schwäche des Buches, denn die Lösung macht das Problem sogar noch rückwirkend banal. Dafür steht Couplands nächstes Popkultur-Trommelfeuer schon in den English Bookshops: „Jpod“ (Bloomsbury), die ans Limit gebeamte Geschichte eines Computerspiel-Entwicklers und seiner infantilen Eltern — vom Familienthema kommt der Autor im Spätwerk nicht los. „Bis heute hat niemand etwas entdeckt, das die Familie ersetzen kann“, mailt Coupland. .Aber ich bin sicher, dass ein paar Nerds in Palo Alto schon daran arbeiten.“