American Radical Patriot
Das war kein Nachruf, den Bob Dylan nach dem letzten Song am Ende seines ersten großen Konzerts in der Town Hall in New York im April 1963 mit „Last Thoughts On Woody Guthrie“ vortrug. Der Mann, dem er kurz zuvor mit „Song For Woody“ auf der Debüt-LP seine Ehrerbietung bezeugt hatte, lebte noch. Sogar noch jahrelang. Aber da schon mehr als Idol einer Protesthaltung, deren Erbe von Phil Ochs bis zu Billy Bragg und dem Bruce Springsteen der „Seeger Sessions“ andere antraten – und jenseits aller Legenden ist Woody Guthrie eine der größten Ikonen der amerikanischen Musikgeschichte geblieben. In Liebhaber-Editionen wurden auch die obskursten Azetate und verschollen geglaubte Metall-Matrizen von Aufnahmen in den vergangenen Jahren kenntnisreich kommentiert veröffentlicht.
Wobei Letztere in einer geradezu verblüffend high-fidelen Qualität erhalten waren – um Klassen besser als die berühmten Schellack-Aufnahmen eines Robert Johnson oder Charley Patton.
In diesem exzellenten Klang hatten Alan Lomax und seine Frau die „Library Of Congress“-Aufnahmen, die sie an drei Tagen Ende März 1940 mit Woody Guthrie in üblicher Field-Recording-Technik machten, nicht aufgezeichnet. Sie wurden später – in Auswahl – klangkosmetisch für das Drei-LP-Set von Elektra Records 1964 und die 1988 von Rounder vorgelegte Edition so überarbeitet, wie man sie damals „entknackt“ und im Rauschen reduziert dem historisch interessierten Folk-und Woody-Guthrie-Fan zumuten mochte. Die jetzt komplett – sämtliche Songs, alle Interviews auf den ersten vier der sechs CDs – vorgelegten Mitschnitte mochte man keiner radikalen klanglichen Digitalkur unterziehen, vor allem nicht das bislang unveröffentlichte Material. Dieselben Songs, die etwa Ry Cooder für seine ersten LPs wunderbar neu arrangiert aufnahm, findet man hier in ungeschönten home recordings: „Billy The Kid“ als Fragment im Walzertakt zur akustischen Gitarre gesungen, „Do Re Mi“ im klassischen Gitarre/Mundharmonika-Vortrag. Walzer fand er damals offenbar ideal, wenn es darum ging, seine Botschaften in volkstümlichen Liedern zu transportieren.
Ergänzt werden die Sessions um eine sehr informative DVD und auf zwei weiteren CDs um die Songs, die er im Auftrag der Bonneville Power Administration über das Projekt komponierte, mit dem der Columbia-Fluss zum Grand-Coulee-Speichersee aufgestaut wurde. Zu seinen „patriotischsten“ Beiträgen gehören „Whoopy Ti-Yi, Get Along, Mr. Hitler“(sprich während des 2. Weltkriegs geschriebene Songs) und das die Folgen der Geschlechtskrankheiten in gruseligen Details drastisch ausmalende „V. D. Song Demos“. Auf einer 25-cm-Vinyl-Scheibe findet man hier als nette Zugabe die Version des „VD City“-Blues, den Bob Dylan 1961 in einem Hotel in Minnesota sang. Die um einiges (folk)rockigere Version desselben spielten übrigens neulich noch Jay Farrar, Will Johnson & Co. alias New Multitudes für ihr Woody-Guthrie-Tribute-Album ein. (Rounder/Universal)