Aretha Franklin :: One Step Ahead
Ein munterer Reigen früher Aufnahmen der Soul-Lady.
Während Atlantic neulich eine ganz formidable Kollektion von Studio-Outtakes aus den frühen Jahren für dieses Label nachreichte (und damit nebenbeidokumentierte, wie firm sie auch in Sachen Ballade, torch song und Standard war), hat man es bei Columbia mittlerweile offenbar aufgegeben, aus ihren neun LPs für die Firma eine definitive Very-Best-Of-Nachlese zu destillieren. Die Doppel-CD „Jazz To Soul“ war 1992 der erste und einzige Versuch in dieser Richtung— nach zig Jahren, in denen das Material praktisch unter Verschluss gehalten worden war.
Es entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, dass mehrere Plattenfirmen neuerdings in Lizenz frühe Aretha-Franklin-Aufnahmen ausgerechnet zu einem Zeitpunkt wieder bringen, an dem Amy Winehouse und die Kolleginnen von der Retro-Soul-Fraktion in manchen Zirkeln so gepriesen werden, als hätten sie das Rad neu erfunden. Die jetzt wiederveröffentlichten Aufnahmen – der Dinah-Washington-Tribute „Unforgettable“, gekoppelt mit der ebenfalls 1964 erschienenen LP „Runnin‘ Out Of Fools“ auf der Demon/Edsel-CD und eine weitgehend, aber nicht ausschließlich auf ihre Blues-Einspielungen jener Jahre abhebende Sammlung („Aretha Sings The Blues“, SPV, * * *) beweisen zum einen nicht nur, dass sie auch schon vor den Probe-Sessions zu “ I Never Loved A Man The Way / Love Tou“ ganz formidabel singen konnte, die machen nebenbei auch deutlich, wie wenig von heiligem Soul-Geist dann doch vergleichsweise inspiriert manche der neuen als Offenbarung gepriesenen Sängerinnen rüberkommen.
Was man nach „Take 1t Like You Give It“ ahnen konnte, bestätigt jetzt „Without The One You Love“ auf dem „Sings The Blues“-Album, nämlich: Man hätte der jungen Dame viel mehr Freiheiten lassen müssen, auch ihre eigenen Songs aufzunehmen, anstatt ihr ausschließlich praktisch die anderer aufzuzwingen. Dass sie von Idolen wie Clara Ward oder Mahalia Jackson einiges abschaute, was für ihre Sangeskarriere durchaus förderlich war, hinderte sich ja nicht daran, sich wie ihre Schwestern Erma und Carolyn auch mal als Songschreiber zu versuchen.
Irgendwie kurios im Rückblick, dass ihr Entdecker John Hammond dies Talent nicht nachdrücklicher förderte und ihr da mehr freie Hand ließ. Nachdem er sie am 1. August i960 bei der Einspielung von „Today I Sing The Blues“ —immer noch eine phänomenale Tour-deforce — produziert hatte, musste ihm doch endgültig klar sein, was für ein überragendes Talent er da unter Vertrag genommen hatte. Diese Aufnahme wäre auch sieben Jahre später auf ihrem Atlantic-Debüt eine der ganz großen gewesen. Das offenbar in einer Cocktail Lounge live mitgeschnittene „Without The One You Love“ ist eine Lektion in Sachen Showbusiness: Da singt jemand inbrünstig das von ihm geschriebene Lied, während das Publikum teils amüsiert plaudert, am Ende aber doch die Interpretation mit einigem Applaus bedenkt. Selbst bei derlei Nachtclub-Amüsement sang sie ganz famos. „Only The Lonely“ ist eine andere Lektion: Sie hätte sich bei dem von Sinatra ein paar Jahre vorher für das gleichnamige Album aufgenommenen Standard die Seele aus dem Leib singen können — ein Voyle Gilmore oder Nelson Riddle, die das auf demselben Niveau produziert und arrangiert hätten, standen ihr aber nicht bei. Erstaunlich ist und bleibt, zu welcher sängerischen Form sie bei dieser Studio-Routine auflaufen konnte.
Als sie dann – gerade mal 21 das Dinah-Washington-Tribute aufnahm, verzichtete man auf die ganze üppige Streichersoße, rückte mehr denn je ihre Qualitäten als Pianistin ins richtige Licht und produzierte das beste Album ihrer Columbia-Ära so, dass man nachträglich meinen könnte, Spencer Davis, Stevie Winwood & Co. hätten sich — was den Sound angeht — diese Platte als Vorbild für eigene mal sehr genau angehört. Völlig absurd im übrigen: „Nobody Knows The Way I Feel This Morning“, eine der besten Aufnahmen überhaupt auf dieser LP, fehlte auf dem „Jazz To Sou/“-Rückblick von Columbia Legacy.
Bei Columbia wusste man nie wirklich, was man alles mit so einem Talent anfangen sollte. Aber einmal kam man dann doch auf die Idee, dass diese Aretha Franklin ein so großes Talent sei, dass sie bei „Soulville“ am besten mit sich selber im Terzett singen sollte. Stereo und im Playback—so fortschrittlich war man bei Columbia dann doch längst.