Atom Egoyan – Simons Geheimnis :: Start: 21. Mai
Wer sind wir? Und was sind die Anderen für uns? Diese zentralen Fragen stellt Atom Egoyan, kanadischer Regisseur armenischer Abstammung, stets in seinen humanistischen Werken, die von Verlust, Trauer und Zorn erzählen. In seinem elften Kinofilm seit 1984 verbindet er diese ohnehin universellen Gedanken und Gefühle klug mit den weltweiten Auseinandersetzungen um religiös oder kulturell motivierten Terrorismus: Woher kommt der Hass aufeinander? Wie ist Versöhnung möglich? Soll man für eine Sache, die man für gerecht hält, sterben? Und vor allem: Darf man andere, unschuldige Menschen dabei töten?
Französisch-Schüler einer Klasse in Toronto müssen einen Zeitungsartikel übersetzen, in dem von einem Mann berichtet wird, der im Gepäck seiner schwangeren Freundin auf ihrem Flug nach Bethlehem eine Bombe versteckt hatte. Der Mordanschlag wurde versönlichen Empfindungen zu vermischen. Als kleiner Junge starben seine Eltern, der libanesische Geigenbauer Sami und die kanadische Violinistin Rachel, bei einem nie ganz geklärten Autounfall. Seine Lehrerin Sabine (Arsinee Kbanjian), die auch ein Theaterprojekt leitet, ermutigt ihn, die Idee weiter auszubauen. Zusätzlich aufgewühlt durch die Aussage des todkranken Großvaters Morris, Simons Vater sei ein Mörder, steigert er sich weiter in seine Fiktion hinein und gibt sich im Internet als Sohn eines Terroristen aus. Simon wird angezeigt und Sabine entlassen.
In einer hypnotischen Atmosphäre der Ohnmacht und Isolation ist Egoyan mit „Adoration“, S o der treffendere Originaltitel, ein stilistisch und intellektuell beachtliches Lehrstück über Intoleranz, Identitätssuche und Manipulation gelungen. „Vielleicht sollten wir alle unter uns bleiben“, rät Simons verschlossener Onkel Tom (Scott Speedman) einmal Sabine, als die ihn verschleiert aufsucht und sich über den Weihnachtsschmuck wundert. Sie stammt wie Sami aus dem Libanon und hat ebenso etwas zu verbergen wie Tom. der unter der patriarchalischen Art von Morris gelitten hat.
Und es liegt an ihnen, Simon die Augen zu öffnen.
Die Story mag ein wenig konstruiert und überlastet wirken. Auch Weihnachtsbaum und Schleier sind als Symbole des Gegensatzes recht simpel – andererseits illustrieren sie, dass Stereotypen das Grundproblem dieser Welt sind. Das zeigt sich besonders im Internet, dessen Blogs gerne als Gipfel der Meinungsfreiheit gefeiert werden. Egoyan begegnet ihnen mit Skepsis, denn die multimedialen Möglichkeiten schaffen eigene Wahrheiten, die man kaum noch durchschaut. Simons Geschichte wird ernst genommen, immer mehr Menschen melden sich im Chatroom zu Wort, bis der Laptop ein Mosaik aus winzigen Webcambildern aufweist und eine Kaskade aus Stimmen und Stimmungen anschwillt, die keine gemeinsame Lösung zulässt.