Barry Adamson – Oedipus Schmoedipus

Cockermania überall, kürzlich auch in Amerika. Da wurde Jarvis natürlich gleich krank (der Magen wohl!), und hypochondrisch ließ er sich bei einem Konzert in Hannover auf die Bühne fallen, rief immer wieder „Taffelwein!“ und delirierte lustigen Unfug. Pulp waren dennoch besser und ekstatischer denn je: Eine epische Version von „Live Bed Show“ mit Instrumentalteil hätte ad infinitum fortgesetzt werden können. Aber all die anderen Hits! Die Hysterie von „Do You Remember The First Time?“, der süße Schmerz von „Something Changed“, der Triumph von „Mis-Shapes“ und die Hemmungslosigkeit von „Disco 2000“ – eine Feier, ganz und gar Gegenwart Und nun ein Nachtrag zu „Different Class“, einfach beigelegt und „Second Class“ betitelt: neun Songs und für ein Album zu zerrissen – in der Tat eine Klasse unter dem Klassiker. Doch auch die zweite Wahl ist euphorisierend: neun Minuten Autobahn-Disco-Wahnsinn in „Deep Fried In Kelvin“, Kraftwerk mit Keyboards und Gitarre, eine gebremste Fassung von „Live Bed Show“, die üblichen Cocker-Manierismen und larmoyanten Lamentos über den ewigen Anrufbeantworter, die Kleider der Schwester, die „Seconds“, die sich zu Stunden weiten (und zum Leben runden!) und – einzig mißglücktes Stück „The Babysitter“, erzählt aus der für Cocker typischen Perspektive der Distanz und unnötig melodramatisch verdudelt Es fehlt dem Appendix an Dichte, nicht an Hingabe. An das nächste Album denken Pulp vermutlich mit Schrecken. Wir zagen.

Jarvis Cocker übertreibt gern und am liebsten, wenn es dem eigenen Werk nichts anhaben kann. Dem Zampano Barry Adamson stellte er sein Talent für eine erotische Seance zur Verfügung, eine schamlos gestöhnte und unfaßlich schwüle Burleske: „Set The Controls For The Heart Of The Pelvis“, ein Masturbationsfiebertraum ohne Takt, aber mit Witz. Dazu überkandideltes, überladenes Elektronik-Geblubber aus Barry Adamsons Alchimie-Werkstatt.

„Oedipus Schmoedipus“ schmiert dann über Easy-Listening, Lounge-Jazz, Filmmusik-Ambiente und allerlei irre Sound-Schnipseleien zu „Achieved In The Valley Of Dolls“, und da ist ein beinahe vergessener Pop-Held der Achtziger zur Stelle: Billy McKenzie von den Associates, die strahlende Stimme synthetischer Schwermut Und Adamsons alter Kollege Nick Cave hilft bei „Sweet Embrace“. Ein Monster-Album, eine wüste Katharsis, ein Entwicklungsroman ist „Oedipus Schmoedipus“ – aber alles weitere dazu von Christian Büß im Gespräch mit Barry Adamson in diesem Heft.

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