Brian Wilson

That Lucky Old Sun

EMI

Bereits vor einem Jahr wurde „That Lucky Old Sun“, eine Auftragsarbeit für das Londoner Southbank Center, bei der Neueröffnung der renovierten RoyalFestival Hall erstmals aufgeführt und bekam durchweg gute bis euphorische Kritiken. Mit Renovierungsarbeiten kennt BrianWilson sich ja schließlich auch aus, hat er doch vor ein paar Jahren schon das unveröffentlichte „Smile“-Album der Beach Boys neu instandgesetzt. Eine Arbeit, die ihn neu belebt zu haben scheint, denn „That Lucky Old Sun“ zielt höher als sein letztes Album mit neuen Songs, „Gettin‘ In Over My Head“, ist ein ambitionierter Liederzyklus, der das südliche Kalifornien der 50er und 60er Jahre beschwört. Einen Mythos also, den Wilson zu einem großen Teil selbst mitgeschrieben hat.

So steht das Album zunächst auch ganz im Geist der frühen Beach Boys. Klischees bleiben da nicht aus, wenn Wilson in den Songs, die er mit seinem Keyboarder Scott Bennett schrieb, noch einmal (in Anlehnung an die erste Beach Boys-Single) das „Surfer Girl“ besingt, „notion“ auf „ocean“ reimt und „wish“ auf „fish“. Diese Songs zeigen vor allem, dass dieses Sentiment und die damit assoziierte Zeit unwiderruflich verloren sind. Tiefste Melancholie ergreift einen, wenn Wilson diese simplen Lieder mit von Alter und Krankheit gekerbter Stimme vorträgt. Die uninspirierte Begleitband liefert dazu wenig mehr als Staffage.

Zwischen die Songs hat Van Dyke Parks, der ja mit Wilson nicht nur „Smile“, sondern auch die impressionistische Liebeserklärung an den kalifornischen Norden, „Orange Crate Art“, schuf, zerebrale Prosa-Miniaturen gebaut, in denen er ein anderes, urbanes Kalifornien abbildet. So kindlich, wie Wilson diese Texte vorträgt, scheint es fast, als sei ihm diese dunkle Seite des Traums vollkommen fremd. Doch nach allem, was wir wissen, war Kalifornien für ihn niemals der paradiesische Ort, den die Beach Boys besangen. Der Strand schien in seinen Songs immer eine Chiffre für die Unschuld zu sein, die der despotische Murray Wilson seinen Söhnen längst geraubt hatte, und zugleich die Schwelle zum Unbewussten, den Ängsten und schlimmen Erinnerungen, die hinter jeder Welle zu lauern schienen. Wilsons beste Songs handeln davon, und auch im letzten Drittel von „That Lucky Old Sun“ schwingt diese dunkle Ahnung mit, verbindet Wilson Traum und Trauma.

„Oxygen To My Brain“ gerät zunächst noch allzu naiv, doch bereits im Beach Boys-Fragment „Been Too Long“ blitzt das Wilsonsche Genie erstmals auf. Das fantastische Piano-Stück „Midnight’s Another Day“ schließlich stellt alles andere auf „That Lucky Old Sun“ in den Schatten, lässt tatsächlich an frühere Großtaten wie „I Just Wasn’t Made For These Times“ und „‚Til I Die“ denken. „Took the dive but couldn’t swim“, singt Wilson da engelsgleich und scheint auf einmal ganz bei sich zu sein. Als wolle er das bestätigen, fährt er mit Elan im nächsten Song fort: „I’m going home/ Back to the place where I belong.“ Plötzlich erwachen sogar die Harmonien der Band zu neuem Leben.

„Southern California“ schließlich schlägt den Bogen vom kalifornischen zum ganz persönlichen Traum des Brian Wilson: „I have this dream/ Singing with my brothers/ In harmony/ Supporting each other.“ Seine Brüder mögen nicht mehr zurückkommen, aber sein Genie schaut ab und zu noch vorbei. (EMI)