Bruce Springsteen & The E Street Band

Hammersmith Odeon, London 75

Col (Sony Music)

Das legendäre, emphatische Konzert als Doppel-Album

Knorke, daß die Platte jetzt mindestens genauso schäbig und verwackelt aussieht wie all die abenteuerlichen Bootlegs mit ausgeschnittenen Fotos, gerubbelten Letraset-Buchstaben, Kartoffeldrucken und Holzschnitten. Der heimliche Markt hat bei Springsteen nie so drastisch gestört, wenngleich er durchaus kriminelle Ausmaße hatte. Die halbe „The River“-Platte erschien zuerst als Raubkopie, weil die Bänder aus dem Studio entwendet wurden – ein Vorfall, der Springsteen damals immerhin erboste. Aber bis zu dem Kompendium „Live 1975/85“ waren ja keine offiziellen Konzert-Mitschnitte verfügbar, und als sie es dann waren, zogen wir doch die alten Schwarten mit allen Macken, mit Publikumsgelärme, Rauschen, Schwankungen, Geschwätz und kühner Aufnahmetechnik vor. Und 1975 war immer sehr gut dokumentiert, vor und nach „Born To Run“.

In jenem Sommer war Robert De Niro in New York – man drehte „Taxi Driver“ – bei einem Springsteen-Konzert im Bottom Line, wo er „You talkin‘ to me?“ aufschnappte, in Scorseses Film dann Travis Bickles berüchtigte Frage. Springsteen revanchierte sich später bei Drehbuchautor Paul Schrader, indem er dessen Titel „Born In The U.S.A.“klaute. Ein paar Monate nach den denkwürdigen Auftritten im Bottom Line spielte die E Street Band erstmals in Europa, in London. Das Konzert im Hammersmith Odeon, das uns so lange vorenthalten wurde und nun nach der DVD (in der „Born To Run“-Box) auch als Doppel-Album vorliegt, stimmt insofern melancholisch, als Springsteen hier vielleicht zum letzten Mal die rhapsodischen Erzählungen, den Überschwang, die Magie und das Drama der ersten beiden Alben mit den eben erst fertiggestellten Songs von „Born To Run“ zusammenbrachte, den Rhythm & Blues mit dem Rock’n’Roll, das Grimassieren, die Schauspielerei und Komödie mit dem Pathos, dem Katholizismus, dem großen Ernst. Dazu das „Detroit Medley“ als Nostalgie angesichts einer Zeit, die gerade erst vergangen war, und „Quarter To Three“ als Rausschmeißer, Posse und Hommage an den Rock’n’Roll überhaupt.

Aber vor allem ist es die Art, wie die E Street Band „Rosalita“, „The E Street Shuffle“, „Kittys Back“ und „4th Of July, Asbury Park“ spielt, als ginge es um ihr Leben. Was wohl daran lag, daß es um ihr Leben ging. Springsteen hüpfte als bärtiger Wichtel und „Serpico“-Pacino mit Pudelmütze herum, die Musiker kleideten sich als Luden und Angeber, und gemeinsam machten diese Gammler die explosivste, sentimentalste, pompöseste, schärfste, verspielteste, überdrehteste, komischste, anrührendste und leidenschaftlichste Musik, die der Rock’n’Roll je hervorbrachte. Die Lichter auf dem Boardwalk sollten bald ausgehen, das Leben als Karneval war vorbei, wie Bruce wohl wußte, aber hey, Sandy, nicht heute Nacht. Nicht heute Nacht.