Das amerikanische Hospital :: von Michael Kleeberg

Im Eingangsbereich des Amerikanischen Hospitals in Paris, für das während des Ersten Weltkriegs Ernest Hemingway und John Dos Passos Ambulanzen fuhren, treffen Anfang der 90er-Jahre in einer dramatischen Szene der US-Soldat David Cote und die Französin Hélène aufeinander. Cote ist stark traumatisiert und von Anfällen geschüttelt von der Operation Desert Storm heimgekehrt und lässt sich – fern von seiner in militärischer Tradition stehenden Familie – psychologisch behandeln. Hélène steht kurz vor einer künstlichen Befruchtung. Über ihre Liebe zur Lyrik freunden sich die beiden an. Es entspinnt sich ein Dialog um Sinn und Unsinn des Krieges, die Rolle Amerikas, die Schönheit der Kunst und Fragen der Ethik.

Parabelhaft erscheint die Konstellation der streitbaren unfruchtbaren Französin und des kampfunfähigen Amerikaners, der wie Ethan Edwards in John Fords „The Searchers“ nach seiner Zeit in der Wüste Schwierigkeiten hat, sich in der Zivilisation zurecht zu finden. Dabei gelingt es Kleeberg in einem präzisen, ruhig dahinfließenden Tonfall und filigranen Dialogen, anhand zweier Lebenskrisen die großen Themen unserer Zeit in einer anrührenden (Liebes-?/Krankheits-?)Geschichte zu verknüpfen. Schon fast erschreckend, mit welcher Souveränität und Kunstfertigkeit der Autor seit Jahren jede Figur – vom westfälischen Baron aus dem 18. Jahrhundert in „Der König von Korsika“ bis zum Hamburger Autoverkäufer in den Achtzigern im sprachgewaltigen „Karlmann“ – und jeden Stoff – von SM-Spielen in „Barfuß“ bis zum Reisetagebuch „Das Tier, das weint“ – beherrscht. (DVA, 19,99 Euro) Maik Brüggemeyer

Ein dreifach Hoch auf die Milchstraße +++¿

von Kurt Vonnegut

Am auffälligsten an diesen frühen, noch unveröffentlichten Kurzgeschichten von Kurt Vonnegut, der vor drei Jahren unseren Planeten für immer verließ, ist der geradezu positive Unterton. In seinem späteren Werk – man erinnere sich an die irrwitzigen Romane „Mutter Nacht“ oder „Schlachthof 5“ – überwiegt der Wahnsinn mit Methode, ein Humor, der jener allezeit drohenden Apokalypse verschmitzt die Zähne zeigt. „Ein dreifach Hoch auf die Milchstraße!“ hingegen enthält Erzählungen, die zumeist geradlinig auf einen glücklichen Schluss zusteuern und ihre Protagonisten stets aus dem Schlamassel befreien, in den sie mehr oder weniger unfreiwillig hineingeraten. Die Grenzen zwischen Gut und Böse werden klar definiert, ohne dass Vonneguts großherzige Figuren zu moralisch flachen Abziehbildchen verkommen.

Ob es dabei um eine teuflische Erfindung geht, die einen direkten Draht zum Schlimmsten in uns aktiviert, oder um den skandalös biografischen Roman einer Frau, der zu einem ausgewachsenen Ehestreit führt, stets kriegen die sympathisch gezeichneten Helden noch irgendwie die Kurve. Selbst wenn man ihnen einen Mord anhängen will, wie in „Ed Lubys privater Schlüssel-Klub“, der von einem ehemaligen Leibwächter Al Capones betrieben wird, obsiegt am Ende die Gerechtigkeit – eine wirklich unerwartete Pointe der Geschichte. Das mag simpel klingen, ist aber alles andere als einfach gestrickt. Als gutmütiger Einstieg in Vonneguts sarkastische und literarische Zeitreisen sei das Buch jedem anempfohlen, der das Herz am rechten Fleck hat. (Kein & Aber, 18,90 Euro) Alexander Müller

von John Banville alias Benjamin Black

Der steinreiche Ex-CIA-Agent William „Big Bill“ Mulholland, ein Kontrollfreak erster Güte, beauftragt seinen ungeliebten Schwiegersohn, den einst gefeierten Journalisten John Glass, seine Memoiren zu schreiben. Widerwillig fügt sich Glass in sein Schicksal und engagiert einen skrupellosen Schnüffler namens Dylan Riley, der seine Nase in Mulhollands schmutzige Wäsche stecken soll. Wenige Tage später wird Riley – der ihn rein äußerlich an einen Lemuren erinnert, ihn aber bald wie die gleichnamigen römischen Totengeister verfolgt – erschossen aufgefunden. Das dunkle Geheimnis, das er Glass gewinnbringend verkaufen wollte, nimmt er mit ins Grab.

Der 1945 geborene Booker-Preis-Träger John Banville, der unter dem hinlänglich bekannten Pseudonym Benjamin Black seit geraumer Zeit auch Kriminalromane verfasst, gönnt seinem bekannteren Serienhelden Quirke eine Pause, um in „Der Lemur“ neues Terrain zu ergründen: die High Society von New York, die sein Protagonist ebenso leichtfertig verachtet, wie er ihren Reizen erliegt. Nicht umsonst muss Glass bald fürchten, dass seine außereheliche Affäre mit einer Künstlerin auffliegt, was ihn unweigerlich den inzwischen liebgewonnenen Lebensstil kosten würde. Ursprünglich als Fortsetzungsroman für das „New York Times Magazine“ geschrieben, dünnt der eher mäßig spannende Plot zwar zunehmend aus, Banvilles scharfsinnige Analyse von Klassenunterschieden und Standesdünkel, dargeboten in seiner gewohnt filigranen Sprache, entschädigt aber für so manche Schwäche dieses Genrestücks. (Rowohl Taschenbuch, 11 Euro) alexander müller

von Jonathan Safran Foer

Weil dies ein echtes Tierbuch ist, muss Eisbär Knut dabei sein. Die Schweine, aus denen die Tausende von Würstchen gemacht wurden, die die Zoogäste seinerzeit aßen: Die seien doch mindestens so intelligent und liebenswert gewesen wie der Kuschelbär, schreibt Jonathan Safran Foer. Stimmt – aber zum Glück haben wir auch ein Herz für dumme, hässliche Lebewesen.

Für sein erstes Sachbuch hat Safran Foer, dessen Roman „Alles ist erleuchtet“ eine der unvergesslichen Geschichten der Nullerjahre ist, auch wesentlich stichhaltigere Fakten, Zahlen und Ansichten zum Thema Fleischkultur und Tierliebe gesammelt. Er hat Statistiken gewälzt, Schlachtfabriken und Biobauern besucht, ist mit einer Aktivistin illegal in eine Truthahnfarm eingestiegen. Vieles ist auch für Eingeweihte unglaublich zu lesen, wird vom Autor dann noch mit Familiengeschichten, philosophischen und sentimentalen Exkursen ergänzt. Bei einem derart unstrittigen, oft behandelten Thema kommen sich die vielen Argumente allerdings gegenseitig in die Quere: Wer kein Vegetarier sein will, soll sein Fleisch halt bewusst und gemäßigt konsumieren, konzediert der Autor am Ende. Was beim Michael-Moore-Publikum vielleicht lebensverändernd wirkt, stellt für andere nur die Frage, ob für diese Erkenntnis der gut gemeinte Aufwand nötig war. (Kiepenheuer & witsch, 19,95 Euro) Joachim Hentschel

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