David Blue-Stories
Er war eher einer von der traurigen Gestalt, und deswegen legte er sich sicher auch dieses Künstler-Pseudonym zu, als er sich 1960 entschloss, doch nicht den Schauspielerberuf zu ergreifen, sondern in der Boheme-Szene von Greenwich Village zu reüssieren. Sein richtiger Name war Stuart David Cohen, geboren im selben Jahr wie Bob Dylan, nur nicht so weit weg vom Folk-Mekka, nämlich in Providence, Rhode Island. Es sollte aber dauern, bis er ganz zu seinem eigenen Stil fand.
Sein Solo-Debüt von 1966 („David Blue“,3,0 ) war nicht nur weithin eine ziemlich unverblümte Hommage an Dylan und dessen „Highway 61 Revisited“ im Besonderen (er hatte sich dafür auch dessen Session-Crack Harvey Brooks ausgeliehen), sondern vermittelte bei einigen Aufnahmen schon Vorahnungen künftiger Platten. „Grand Hotel“ ist schon ganz eines dieser traurigen Liebeslieder, für die er Spezialist werden sollte und das er mit Recht als so herausragend in dieser Kollektion fand, dass er davon für seine nächste LP gleich eine noch entschieden mehr verinnerlichte Interpretation aufnahm. Aber jetzt wieder neu gehört, kann man doch zu dem Schluss kommen, dass die dem Bob Dylan von „Blonde On Blonde“ nachempfundene Sechs-Minuten-Ballade „The Street“ doch alle anderen Aufnahmen hier überragt.
Seiner selbst alles andere als sicher, versuchte er sich in den nächsten Jahren — unter anderem auch seinen bürgerlichen Namen wieder annehmend – als Komponist von Country-Material, um schließlich spät, aber doch zu seiner wahren Berufung zu finden, als ihn David Geffen erst einmal für Asylum unter Vertrag genommen hatte. Dieser Einstand, acht Songs zusammengefasst mit dem lapidaren Titel „Stories“ und coproduziert von Joni Mitchells Gewährsmann für guten Klang (Henry Lewy), war nicht unbedingt eine akustische Glückspille für den Zuhörer, sondern ziemlich genau das Gegenteil. Hier bekannte sich jemand als der wohl geborene Verlierer, der eine gewisse Todessehnsucht entwickelt hatte. Was etwa die Verse „I still have the tracks to remind me/What life was like high and wasted/ When I wanted to die“ aus dem Song „House Of Changing Faces“ nahelegten.
So edel wie todtraurig ließen Session-Cracks wie Milt Holland, Chris Ethridge, John Barbata, Ry Cooder und andere die öfter in Moll schwelgende Melancholie klingen. Einiges davon hatte ganz große Leonard-Cohen-Klasse, aber das setzte sich nicht breiter als gesichertes Wissen unter Plattenkäufern durch, das fanden zunächst nur Kritiker. Was der Label-Kollege Jackson Browne damals für sein Debüt an Songs aufnahm, mutete im Vergleich zu den meisten auf „Stories“ schon wieder richtig fröhlich und tröstlich in Stimmung und Weltverständnis an. Dabei waren David Blue für solche wie „Another One Like Me“ oder „Marianne“ ganz wunderbar blühende Melodien eingefallen, für die Cooder & Co. auch ein paar hinreißende Verzierungen auf Slide- und Flamenco-Gitarren fanden. Im Nachhinein drängt sich die Idee auf, dass er mit „The Blues (All Night Long)“ schon den Nachruf auf sich selber schrieb. Verse wie „The song was simple sad and sweet/About love lost life alone/ How the past lies down down/ The old ghost and dreams…“ legen das nahe.
Irgendwer muss ihm danach erklärt haben, dass man den Menschen vielleicht doch nicht soviel fast schon nihilistisches Liedgut bieten sollte. Auf dem von Graham Nash betreuten „Nice Baby And The Angel“ (4,0) gab es dann zwar auch noch einmal schön traurige Bekenntnisse wie „Yesterday’s Lady“, aber auch Ohrwürmer („Train To Anaheim“, „Outlaw Man“, letzteres von den Eagles übernommen), sanfte („Troubadour Song“, „Lady O‘ Lady“) und richtig fröhliche Liebeslieder („True To You“ mit folkrockigen „When I’m Dead And Gone“-Qualitäten, sprich sogar gewissem Hit-Potenzial).
Wieder an Bord war Chris Ethridge, hinzugestoßen Glenn Frey. Nash hatte Dave Mason mitgebracht und David Lindley ausgeborgt bei Jackson Browne. Es wurde ein großer Ohrenschmaus, und man muss nachträglich noch immer an dem Verstand der Person zweifeln, die für diese Lebensfreude zelebrierende Platte ein so abstoßendes Grau-in-grau-Cover mit dem Sänger porträtiert als Trauerkloß auswählte.
So wurde das nichts, und David Blue ging lieber mit seinem alten Kumpel Bob Dylan und dessen „Rolling Thunder Revue“ auf Tournee, anstatt seine eigene LP mit Konzertauftritten in Clubs und in Übersee zu bewerben. Im Anschluss nahm er mit „Cupid’s Arrow“ 3,0 ) auf, was man als seine professionellste Platte bezeichnen könnte, allerdings überhaupt nicht im pejorativen Verständnis des Begriffs. Guten neuen Songs assistierten hier hochkarätige Profis vom Rang eines Barry Goldberg, David Lindley, Donald „Duck“ Dünn, Levon Helm und Jackie Lomax.
Danach wechselte er aber doch zurück ins Fach der ersten Wahl, zurück zur SchauSpielerei. Sehen konnte man ihn in Neil Youngs „Human Highway“, „Wim Wenders“, „Der amerikanische Freund“ und Dylans „Renaldo und Clara“. Als er 1982 mutmaßlich an Herzversagen während des Joggens im Central Park starb, war er schon praktisch so gut wie vergessen.
Dass die Platten jetzt wieder zugänglich gemacht wurden, ist ähnlich wie im Fall der Label-Kollegin Judee Sill einem kleinen Oldies-Label und nicht einem Plattenkonzern zu verdanken. (WOUHDEDBIRD/IMPORT)