David Cronenberg :: A History Of Violence
In "A History of Violence" lässt David Cronenberg die USA von Gewaltausbrüchen heimsuchen. Das idyllische Selbstbild der Amerikaner gerät ins Wanken. Cronenbergs Thriller markiert aber auch einen Wendepunkt in seinem Schaffen.
Der Schauplatz ist eine amerikanische Kleinstadt, wie sie bilderbuchhafter kaum sein könnte. Zwischen herbstlich schimmernden Bäumen und ruhigen Straßen liegen pittoreske Eigenheime, auf der Straße grüßen ältere Menschen sich freundlich. In einem kleinen Diner, in dem die Stammgäste in geselliger Runde zusammensitzen, schenkt Tom Stall (Viggo Mortensen), ein ruhiger Familienvater, den Kaffee aus und verteilt Kuchen. Plötzlich betreten zwei Gangster das Diner. Die beiden reißen den Laden an sich, doch bevor es zur Eskalation kommt, kann Tom einem der beiden die Waffe aus der Hand reißen um schließlich beide zu erschießen. Sein Akt der Notwehr allerdings geschieht schnell und geschmeidig, nahezu routiniert ausgeführt. Als steckt mehr hinter Tom Stall als nur ein harmloser Cafe-Besitzer.
Der Zuschauer wird zum Komplizen
Jene exemplarische Szene, die sich zu Beginn von David Cronenbergs Thriller „A History of Violence“ findet, stellt die Frage nach den Wurzeln der Gewalt in der amerikanischen Gesellschaft. Die Inszenierung von Heimat-Idyll und Familie, die an die großen Melodramen Hollywoods aus den 50ern erinnert, entpuppt sich dabei als trügerisches Ziehbild. Nachdem Tom aus dem Krankenhaus entlassen ist, taucht ein weiterer Gangster (Ed Harris) auf, der ihn im Diner konfrontiert und für einen alten Rivalen hält. Einer, der ihm einst das Auge mit einem Stacheldraht verstümmelt hat. Nach und nach verdichten sich die Ungereimtheiten, der familiäre Frieden bekommt erste Risse, bis es zur Gewissheit wird: Tom war einst ein hochrangiger Mafioso in Philadelphia, bevor er entkommen und sich eine friedliche Existenz im Heartland aufbaute, zu der seine nichtsahnende Ehefrau (Maria Bello), der Sohn (Ashton Holmes) und die Tochter (Heidi Hayes) gehören.
Cronenberg legt dabei Stück für Stück frei, was sich unter der Fassade des gelebten amerikanischen Traums befindet. Er lässt den Zuschauer durch die Erzählstrategie selbst zum Teilnehmer der Demaskierung werden, ist der Film doch so konstruiert, dass die Sympathien des Betrachters klar auf der Seite des fürsorglichen Familienvaters liegen, den sadistische Verbrecher terrorisieren. In der Mitte des 90-minütigen Films wird klar, dass Tom nicht der ist, der er zu sein vorgibt. Als er aus seiner Passivität ausbricht und sich auf die Reise zum Auftraggeber nach Philadelphia begibt, ist der Zuschauer längst emotional an ihn und seine Familie gebunden – und wird sich so nicht nur der eigenen getäuschten Wahrnehmung bewusst, sondern auch zum Komplizen der Gewalttäter.
Was oberflächlich betrachtet wie ein konventioneller Rachethriller anmutet (Cronenberg selbst war der Meinung, sein Film sei ein Mainstream-Beitrag und zögerte daher, ihn beim Filmfestival in Cannes vorzustellen), wirft verstörende Fragen über Gewalt, Familie und Gesellschaft auf. Nachdem Tom die Gangster im Diner erschossen hat, sitzt er allein in seinem Krankenbett und schaltet den Fernseher ein. Er zappt durch mehrere Kanäle, in denen einstimmig das Bild von ihm als tüchtigem Amerikaner und Retter in der Not bemüht wird. Der gefeierte Held, zu dem er für die Öffentlichkeit stilisiert werden soll, so legt nicht zuletzt die dunkle Ausleuchtung der Szene nahe, ist Tom nicht. Vielmehr ist er Opfer und Täter zugleich: Er selbst hatte einst Menschen für die Mafia getötet, sich dann aber für ein Leben in Frieden entschieden. Nachdem er in Notwehr wieder zur Waffe gegriffen hat, gerät der zunächst passiv agierende Tom in eine Spirale der Gewalt, aus der es für ihn kein Entkommen gibt. Nicht zuletzt hat Tom, der einst so souveräne Killer, schlicht Angst – die Fernsehberichte machen aus dem unerwartet schlagkräftigen Diner-Chef einen Prominenten, der so in den Suchscheinwerfer derer gerät, die nach ihm trachten.
Der Zwang zu einem brutalen Leben
Scheinbar nebensächlich anmutende Szenen, in denen Toms Sohn Jack beim Baseballspiel zu sehen ist, verdichten diesen Kreislauf: Von einem Mitschüler wieder und wieder belästigt, versucht dieser zunächst, den aggressiven Gesten mit cleveren Witzen auszuweichen. Nachdem sich aber solche Szenen wiederholen, kommt es in der Highschool zu einer Schlägerei, bei der sich Jacks Aggression in einem Gewaltakt entlädt, bei dem er den Provokateur krankenhausreif schlägt. Eine verstörende Implikation drängt sich auf: Manche Individuen haben keine Handlungsalternativen, wenn sie nicht zu Opfern werden wollen. Das Gewinnstreben der Mafia, in dessen Namen Tom zum Killer wurde, zwingt zu einem brutalen Leben; ebenso der Wille, maskulin aufzutreten um gesellschaftlichen Respekt zu erlangen, wie im Fall von Jacks Mitschüler. Nicht erst die Mafia ist Grund für den Zerfall des amerikanischen Idylls. Die von Kindheit an entwickelten Rollenbilder und Interaktionsmuster sind Keim für Gewalt und Zerfall. Toms Bruder ist der Mafiaboss von Philadelphia; und Toms Sohn greift auf ähnlich Verhaltensmuster zur Konfliktlösung zurück, wie sein Vater.
Im Unterschied aber zu etwa David Lynch, der in „Blue Velvet“ (1986) auch die Abgründe hinter den Fassaden amerikanischer Bürgerlichkeit verhandelt hat, ist Cronenberg kein Verrätselungskünstler, sondern inszeniert „A History of Violence“ als existenzialistische Studie über die Frage nach Identität. Frei nach F. Sott Fitzgeralds Diktum, „there are no second acts in American lives“ lässt der Film seinen Protagonisten daran scheitern, der eigenen Vergangenheit zu entkommen und im Leben von vorne anzufangen. Auf dem Mythos der Selbsterfindung basiert das Selbstverständnis der Immigranten-Nation USA. Damals kamen die ersten Siedler aus Europa in der neuen Welt an und ließen ihre alten, durch Feudalismus vorbestimmten Identitäten zugunsten einer scheinbar freien Gemeinschaft aus Glückssuchenden hinter sich. Cronenberg sabotiert diesen Akt vermeintlicher Selbsterfindung, indem er zeigt, was schon William Faulkner wusste: „the past is never dead, it’s not even past“. Der Kreis schließt sich in „A History of Violence“, schon der Titel verweist auf die historische Dimension, gehörte doch zur Selbsterfindung der Siedler auch die Eroberung des Lebensraums der Indianer.
Problematisch ist „A History of Violence“ trotzdem, in seiner Dramaturgie. Zwar verwendet Cronenberg klassische Thrillertopoi nicht um ihrer selbst willen, sondern um ein Anliegen zu darzustellen. Trotzdem funktioniert der Film im Zweifel auch als unreflektiertes Racheepos ohne philosophische Nuancen. Gerade die Inszenierung der Gewaltszenen gerät in ihrer Ambivalenz schwierig. Auf der einen Seite sind diese zumeist in symmetrisch geordneten Bildern zu sehen, die eine gewisse analytische Distanz zulassen. Auf der anderen Seite aber spritzt das Blut und sind die einzelnen Handgriffe so genüsslich zusammenmontiert, dass der Brutalität durchaus ein gewisser Schauwert zugestanden wird.
Möglicherweise war Cronenberg auch unsicher, wie er der Filmvorlage, Vince Lockes gleichnamiges, detailliert blutiges Graphic Novel, am ehesten beikommen konnte. Der Regisseur wollte nach eigener Aussage unterhaltsame Bilder schaffen, damit der Zuschauer die Möglichkeit habe, seine eigene voyeuristische Rolle beim Anschauen von Brutalität zu hinterfragen. Man könnte aber entgegnen, dass „A History of Violence“ durch den Aufbau des Plots, der relativ geradlinig auf einen blutigen Höhepunkt zusteuert, vor allem das bietet: ein an der Prämisse unreflektierter Schaulust ausgerichtetes Gangsterkino.
Die Abkehr vom Fantastischen
So kehrt der scheinbar geläuterte Tom zurück zu seiner Familie, nachdem er in Philadelphia die Spuren zu seiner Vergangenheit durch das Anrichten eines Blutbads gekappt hat. Die Familie sitzt am Tisch und isst zu Abend, während Tom wie ein Abtrünniger im dunkel ausgeleuchteten Flur steht. Die bis zuletzt noch ergebene Frau wendet den Blick ab, der Sohn regt sich nicht, allein die kleine Tochter bereitet einen Teller für ihn vor. Tom setzt sich in demütiger Haltung dazu, es folgt ein Schnitt. Der Familienfrieden ist, wenn überhaupt, äußerst fragil. Eine Rückkehr zur Normalität scheint nicht mehr möglich.
Im Oeuvre von David Cronenberg markiert „A History of Violence“ rückblickend einen Wendepunkt. Zuvor war der Kanadier mit Filmen wie „Videodrome“, „Die Fliege“ oder „Crash“ ein Meister der intellektuellen Durchdringung von Horror und Science Fiction, der mit seinen berüchtigten „body-horror“-Szenen menschliche Körper und gesellschaftliche Dystopien auf unheilvolle Art und Weise verband. „A History of Violence“ war nun ein durch und durch diesseitiger, im hier-und-jetzt verorteter Film, der auf klassische Thriller- und Film-Noir-Elemente zurückgreift. Im Folgenden sollte sich diese Abkehr vom Fantastischen, von den artifiziell-technoiden Bildwelten früherer Cronenberg-Filme, fortsetzen.
Die Beschäftigung mit den prägenden Themen dieser Karriere setzt sich jedoch in diesen Filmen fort, wenn auch subtil. „Eine dunkle Begierde“ von 2008, Cronenbergs Charakterstudie über Sigmund Freud und Carl Gustav Jung, beschäftigt sich mit den Pionieren der Konzeption des menschlichen Unterbewusstseins, die Don-De-Lillo-Verfilmung „Cosmopolis“ sowie die Hollywoodsatire „Maps to the Stars“ sind ätzende Bestandsaufnahmen der Gegenwart, die in ihrer Inszenierung von Finanz- und Unterhaltungswelt die verstörenden Implikationen von „A History of Violence“ noch intensivieren. Und eine Gesellschaft im Auflösungsstadium zeigen.