Der blaue Hammer :: von Ross Macdonald

Als Snoopy im Sommer 1983 wieder im Begriff ist, eine Detektivgeschichte in seine Schreibmaschine zu hämmern, steht Lucy vor ihm: „Du willst doch, dass sich dein Buch verkauft. Und du weißt, was man dafür immer aufs Cover drucken muss?’In der Tradition von Hammett, Chandler und Macdonald‘.“ Der Dreiklang, der sich aus diesen Schriftstellern zusammensetzt und das Hardboiled-Genre für Generationen prägen sollte, ist auch 30 Jahre später nicht verhallt. Aber Spürnase Snoopy setzt noch einen drauf: „Und Leo Tolstoi.“

Er muss gerade einen Roman von Ross Macdonald (1915-1983) gelesen haben, dessen Asche einen Monat zuvor in Santa Barbara verstreut worden war, und hatte bei der Lektüre wohl ständig den berühmten, zum geflügelten Wort gewordenen Beginn von Tolstois „Anna Karenina“ im Kopf: „Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich, jede unglückliche Familie ist unglücklich auf ihre Weise.“ Denn dieses Zitat könnte jeden Buchrücken der insgesamt 18 Romane bewerben, in dem Macdonalds melancholischer Privatdetektiv Lew Archer ermittelt, der am Verfall der Gegenwart leidet. Sie beginnen immer damit, dass Archer den Auftrag bekommt, nach etwas Verlorenem zu fahnden – nach einem Bild etwa, einem Ehemann oder einer Tochter -, um später hinter der Fassade kalifornischer Villen, hinter dem schönen Schein des Reichtums unter der brennenden Sonne und dem gnadenlos blauen Himmel fratzenhafte Figuren dieser wohlhabenden Familien hervortreten zu sehen, die Alkohol, Gier, Geltungssucht und Nymphomanie ausgemergelt haben.

Macdonalds Figuren, auch wenn sie auf den ersten Blick nicht viel miteinander gemein haben, verbindet stets eine alte Schuld, die tief in der Vergangenheit vergraben liegt, die alten Wunden beginnen zu eitern, bis sie platzen. Sein Schnüffler Archer, der menschlicher angelegt ist als Hammetts und Chandlers Kunstfiguren Sam Spade und Philip Marlowe, hat daher längst begriffen, dass das Leben „die schäbige Version der Hölle ist.“ Er bleibt dabei trotzdem ein Mann der Tat, der sich durch ein ziemlich verzwicktes Handlungslabyrinth winden muss. Doch sind seine Taten größtenteils darauf ausgerichtet, die Lebensgeschichten anderer Leute zusammenzusetzen und deren Bedeutung herauszufinden. „Er ist weniger ein Agierender als ein Fragender“, sagte sein Schöpfer Ross Macdonald einmal, „und verkörpert ein Bewusstsein, in dem die Bedeutung oder der Sinn anderer Leben aufscheint.“ Und so wandelt sich das „Private Eye“ Archer immer mehr zu einer empfindlichen, selbstanalytischen Figur, deren größtes investigatives Talent es ist, zuzuhören, ohne zu urteilen. Er interessiert sich nicht so sehr für Gerechtigkeit, vielmehr für die Wahrheit.

Darum gebraucht er, anders als Chandlers Philip Marlowe oder Hammetts Sam Spade, viel seltener seine Fäuste – auch den Alkohol braucht er nicht beim Ermitteln: „Einen Drink?“, fragt Lauren Bacall den jungen Archer, den Paul Newman 1966 und 1975 im Film verkörperte. „Nein danke, ich habe noch nicht gefrühstückt.“ Bacall, die viele Jahre zuvor in der Chandler-Verfilmung „Tote schlafen fest“ an der Seite von Humphrey Bogart -der perfekten Visage für den kantigen, glamourösen Zyniker Marlowe -glänzte, entgegnet verwundert: „Ich denke, Detektive können immer trinken.“ Newman antwortet kühl: „Nur im Roman.“ Um diese Uhrzeit hätte sich ein Marlowe ja schon mindestens den zweiten Gimlet genehmigt.

So bleibt es bei einer gelegentlichen Dose Bier. Auch in „Der blaue Hammer“ aus dem Jahr 1976, das jetzt auf Betreiben von Donna Leon – Macdonald ist ihr Lieblingsautor – in neuer Übersetzung vorliegt und den Beginn einer Neuedition seiner Werke markieren soll. Archer muss diesmal im Auftrag der Ehefrau eines reichen Geschäftsmannes ein verschwundenes Gemälde zurückbeschaffen. Doch allmählich wandelt sich der Routineauftrag erneut zu einer Expedition in die Vergangenheit. Ein bereits während des Zweiten Weltkriegs geschehener Mord wird aufgerollt, und der 1950 unter mysteriösen Umständen verschollene Maler ebendieses Frauenporträts beginnt die entscheidende Rolle zu spielen. Mit dem Titel „Der blaue Hammer“ ist übrigens kein bestialisches Mordwerkzeug gemeint, sondern die pulsierende Ader an der Schläfe einer jungen Frau, die der langsam in die Jahre kommende Lew Archer zu lieben beginnt – eine Chiffre für das Leben: „Ich hoffte, dass der blaue Hammer nie erlahmen würde.“

Der geschiedene Archer – der schmerzliche Verlust wird in den Büchern immer kurz verhandelt – scheint es diesmal ernst zu meinen. Und das führt uns wieder zu Chandler, von dessen Einfluss sich Macdonald eigentlich am Ende seiner Karriere nicht nur stilistisch zu lösen versuchte: In seinem letzten Buch „Der lange Abschied“ von 1954 verabschiedet Chandler seinen Philip Marlowe mit dem Versprechen auf eine baldige Hochzeit mit einer wohlhabenden Schönheit, in „Der Blaue Hammer“ lässt Macdonald seinen Archer jener jungen Reporterin in die Arme laufen, die ihm bei den Ermittlungen hilft. Ob es wenigstens die beiden schaffen, eine glückliche Familie zu gründen? Wir wissen es nicht. Es war Macdonalds letztes Buch. (Diogenes, 14,90 Euro)

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