Diverse – Phil’s Spectre II

„Möglicherweise die größte Pop-Platte überhaupt“, meinte Nik Cohn mal zu „River Deep – Mountain High“, und damit steht er nicht ganz einsam da. Aus der Reportage von Tom Wolfe über den „First Tycoon Of Teen“ konnte man auch entnehmen: Phil Spector war wohl ein Irrer. Aber einer mit Visionen. Also auch ein Visionär. Einer, der viele Nachahmer inspirierte – auch zu Dutzenden Aufnahmen, die man auf diesen beiden CDs findet.

Endlos Streicher, Echo und Kastagnetten, alles zu Klangwällen aufgetürmt und offenbar beim Meister abgeschaut wie auf „Phil’s Spectre – A Wall Of Soundalikes“. Jackie DeShannons „When You Walk In The Room“, Just You“ von Sonny & Cher, ,All Strung Out“ von Nino Tempo und April Stevens (Arrangeur: Nick DeCaro) oder dem Righteous Brothers-Klassiker „(You’re My) Soul And Inspiration“. DeCaro war ein gelehriger Schüler der ersten Stunde, sollte fortan aber Pop-Symphonien mit noch feineren Mitteln instrumentieren und arrangieren. Auch vertreten ist hier natürlich Spectors rechte Hand, Jack Nitzsche als Arrangeur und Dirigent bei „Love Her“ von den Walker Brothers und (nicht derart auftrumpfend) barock-rockiger mit seiner Produktion von P. J. Probys „I Can’t Make It Alone“. In vielen Fällen lieferten Brill-Building-Lohnschreiber damals ideale Vorlagen, das Ehepaar Goffin/ King genauso wie Barry Mann/Cynthia Weil oder Jeff Barry/Ellie Greenwich.

Wie sich die frühe Supremes-Single „Run, Run, Run“ in diese Sammlung verirrte, wissen die Götter bzw. die beiden für die Auswahl verantwortlichen Herren. Plausibler scheint da schon, daß hier der Doo-Wop-Klassiker „Why Do Fools Fall In Love“ in der Beach Boys-Aufnahme auftaucht, auch wenn Brian Wilsons Vorstellung davon, wie man Echo einsetzen sollte, nicht wirklich ganz deckungsgleich mit dem typischen Spector-Sound ist. Dem kommt urigerweise ausgerechnet die frühe Motown-Single „Too Hurt To Cry, Too Much In Love To Say Goodbye“ von den Darnells weit näher. Eine Rarität, nämlich ein totaler Flop aus der Feder des nachmals berühmten Erfolgsteams Holland/Dozier/Holland.

Folge 2 bietet teils mehr Aufnahmen derselben Bands und Produzenten – Righteous Brothers, Holland/Dozier/Holland, Nino Tempo (Produzent der tollen Schnulze „Dreamin‘ Of You“ von Noreen Corcoran und der Beach Boys, deren Chef Phil Spector irgendwann mal wohl für Gott hielt, „Be My Baby“ bekanntlich immer noch für die größte Platte aller Zeiten hält), aber auch obskurere Beispiele.

Da verschwimmen die Grenzen zwischen Imitat, Plagiat und originell inspiriertem Werk. Zu letzteren gehört zweifellos „I’m Nobody’s Baby Now“ von Reparata & The Delrons oder „Wonderful Baby“, die Four Tops 1967 produziert von niemand anderem als Smokey Robinson. Kastagnetten, Chöre, Streicher, Hallraum reichlich, das volle Programm. Barry Mann gab ungeniert zu, daß deren „Baby I Need Your Loving“ ihn zu „You’ve Lost That Loving Feeling“ inspiriert hatte. Wie ungeheuer Spector die Kollegen auch noch beeindruckte, als die großen Tage der Crystals und Ronettes längst vorbei waren, belegt hier das von Leon Russell arrangierte und von Jerry Fuller produzierte „Wishful Thinking“ von den Knickerbockers. Bacharach/David mögen geschmackvolleren Pop präsentiert haben als der Meister des Exzeß. Eine Zeitlang aber blendete das (vermeintliche?) Genie alle.

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