Ernst Haffner :: Blutsbrüder

„Ein Berliner Cliquenroman“ ist der Untertitel dieses lang vergessenen Textes, der 1932 unter dem Titel „Jugend auf der Landstraße Berlin“ erschien. Unter den Nazis wurde er verboten, vom Autor fehlt jede Spur. Haffner, von dem man nur weiß, dass er in Berlin als Sozialarbeiter tätig war, erzählt von, nein, besser: begleitet eine Gruppe obdachloser Jugendlicher, die – aus Verwahrungsanstalten geflohen – sich mit Kleinkriminalität und Pros­titution über Wasser halten. Es ist ein harter Überlebenskampf – gegen den Winter, gegen den Hunger, gegen die Polizei –, den man alleine nicht gewinnen kann. Die Clique, die sich „Blutsbrüder“ nennt, wird zum Familienersatz. Zwei der Jungs versuchen, die Halbwelt zu verlassen und ein ehrliches Leben zu führen.

Doch auch sie müssen ständig auf der Hut sein.

Haffner schildert dieses Milieu eindrücklich, mit leichtem, niemals aufdringlichem Pathos und einer allem zugrunde liegenden tiefen Traurigkeit. Der Text wird nicht von einer Handlung getrieben, sondern von Charakteren, Begegnungen, Episoden. Man leidet, fiebert und freut sich mit und erwischt sich dabei, wie man selbst Buch führt über die Einkünfte und Ausgaben der Jungs. Wird es reichen für den nächsten Tag? „Blutsbrüder“ ist so aufwühlend und lebensnah wie ein großer neorealistischer Film.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates