Erykah Badu – Mama’s Gun

Man muss sich nicht dem Suff ergeben oder an der Nadel hängen, um Billie Holidays Timbre zu spüren. Man muss kein Christenmensch sein und auf das Himmelreich hoffen, um im Innersten aufgewühlt zu werden, wenn Aretha Franklin singt. Und man kann Erykah Badu lieben, ihrer Stimme und ihrer Musik erliegen, ohne vor der Hohepriesterin des Baduismus auf die Knie zu fallen. All die Beschwörungen des ewig Zyklischen, von Planetenumlaufbahnen bis zu Biorhythmen, all die afrozentristischen, krausen Ideen, das zeremonielle Baden in Kerzenschein, das matriarchalische Erkenntnisprinzip, der ganze spirituelle Mumpitz: ignorieren! So gut es eben geht. „One love, one world“? Ein so sinnleeres wie harmloses Postulat „Warrior princess from another sun“? Geschenkt. Erykah Badu ist dennoch eine kluge Frau, denn sie weiß um das Dilemma. „I expect people to probably be tired of me preaching by now, so I went on and condemned myself first“, konzediert sie sarkastisch und ermahnt sich selbst: „Don’t go talking that shit, Badu.“ Zu finden auf dem Sequel zu „On & On“, im Original vor knapp vier Jahren ihre erste Single, ein elektrisierendes Präludium zur Debüt-LP „Baduizm“und das stupendeste Stück Soul Music der Neunziger. Kunststück, werden Kenner sagen, war diese Dekade doch nicht gerade gesegnet mit schwarzer Sangeskunst Wer nicht rappte oder rechtzeitig auf den HipHop-Baum kam, wurde zu Sülze verarbeitet. Rhythm 8C Blues, desinfiziert, deodoriert, bis zur Unkenndichkeit formatiert Whitney Carey und Mariah Houston. In tonträger

dieses Soul-Vakuum fiel 1997 „Boduizm“, ein Album von überragender Musikalität, Sinnlichkeit und Würde, ein Sprengsatz mit langer Lunte.

Die Explosion hat Raum geschaffen für Angie Stone, Macy Gray, Jill Scott und Rachelle Ferrell, um nur einige der Himmelskörper zu nennen, die inzwischen am Soul-Firmament leuchten, blasser zwar als der Fixstern Badu, aber nicht mehr zu übersehen. So groß war die Strahlkraft von Jiodukm“, dass sich Erykah, von Fans und Freunden zärtlich „Du“ gerufen, für ihre zweite Studio-LP komplett anders ausrichtete. „Mama’s Gun“ zielt in viele Richtungen. Rock, Jazz, Blues, Beats. Der schwarze Kreis im Mittelpunkt der Scheibe indes ist Funk. Im Stil der Frühsiebziger, laut, sexy, potent There’s a not gowg on. Sly Stone mit Vulva. „Penitentiary Philosophy“ heißt der Openen ein Raunen zuerst, dann Wah-Wah-Gitarren wie Klappmesser, Badus Stimme verfremdet, verfälscht, die Botschaft die alte: „bu can’t win when your will is weak.“

Erst auf „Didn’t Cha Know“ klingt die Diva aus Dallas wieder wie sie selbst, zu seufzenden Gitarren und peitschenden Rimshots. „My Life“ ist Piano-Funk mit Strings, „Cleva“ ist die Antithese zu protzender HipHop-Lyrik, Erykah lässt den Schleier fallen: „This is how I look without make-up and with no bra.“ Sexy, auf subtile, laszive, ergebene, aber wonnig vibrierende Art. Spätestens jetzt ist man wieder gefangen, ja ausgeliefert. Die Vibes dazu spielt Roy Ayers, die überfallartigen Bläser auf „Booty“ arrangierte Roy Hargrove. Klingt knallig wie das Main-Theme eines Blaxploitation-Soundtracks. „Kiss Me On My Neck“ verführt mit Erotik und feinem Uptempo-Groove, „AD 2000“ ist ein Duett mit Betty „Qean Up Woman“ Wright, balladesk swingend, zu exquisiten Basslinien. Süß und verführerisch auch der linde, tief nachtblaue Jazz von „Orange Moon“. Die Tonart wird selten gewechselt, alle Tracks laufen ineinander. Trotzdem etwas enttäuschend: „In Love With bu“, geschrieben und gesungen mit Stephen Marley auf Jamaica. Nichts gegen Bobs Nachwuchs, aber an der Seite dieser Partnerin würden ungleich begabtere Vokalisten eine traurige Figur machen.

Der Rest ist brillant „Bag Lady“, raffinierte Stil-Symbiose und doch höllisch eingängig. „Time’s A Wastin'“, eine Reihe guter Ratschläge an Erykahs kleinen Sohn Seven, zu Zimtund-Zucker-Streichern und famos gesetzten Beats: „We’re livin‘ in a world that’s oh so stränge/ Boy, don’t let your focus change.“ Höhepunkt freilich ist der finale Cut, „Green Eyes“, eine epische, zehnminütige Soul-Extravaganza, die mit einem stilistischen Rückgriff auf 40er-Jahre-Jazz eröffnet, zur Serenade schwillt und schließlich zurückkehrt zum Deep Jazz. Zauberhaft gesungen, kreativ gespielt, von der Künstlerin selbst produziert „Mama ’s Gun“; 13 Treffer, einer nur knapp daneben. Die musikalische Kulmination des Jahres 2000.

Stimmen wie diese, universell und doch unverwechselbar, sind ultra-rar und entsprechend kostbar. Lady Day, Aretha.Du.

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