Gene Vincent – The Outtakes :: Sammlung mit bisher unveröffentlichtem Material des Rockers

Als gesicherte Wahrheit gilt weithin, dass Irren menschlich sei. Gemeint ist damit eigentlich: Irren ist allzu menschlich. Wie traurig solche Irrtümer sein können, merkt der gemeine Musikliebhaber seit geraumer Zeit immer wieder mal dort, wo bei Neuauflagen seiner Lieblingsaufnahmen öfter sog. Alternativ- und Outtakes als großzügige Zugaben auttauchen. Da fasst man sich dann ans Hirn und fragt, warum im Fall der Byrds so grandiose Aufnahmen wie „It Happens Each Day“ oder „Triad“ jahrzehntelang unveröffentlicht blieben.

Wenn von Idolen der frühen Rock’n’Roll-Ära wie Elvis Presley, Little Richard, Eddie Cochran oder Everly Brothers viele Jahre später im Archiv viele nie verwendete Autnahmen in absolut brauchbarer klangtechnischer Qualität gefunden wurden, hatte das ganz andere Gründe, nämlich mit der damals üblichen Art der Produktion zu tun. Anders als bei Country-Interpreten schon üblich, nahm man bei jeweils angesetzten Sessions nicht genügend Material für ein ganzes Album auf, sondern mehrere Takes von aktuell anstehenden neuen Songs. Johnny Cash und auch Elvis waren nicht so komplette Profis, dass sie gemäß der One-take-Philosophie von Frank Sinatra ein ganzes Album-Projekt hätten durchziehen können. Andererseits liegen von denen wiederum jetzt ganz reizvolle Outtakes-Sammlungen vor, deren Charme nicht zuletzt auch darin besteht, dass man mit eigenen Ohren nachvollziehen darf, wie sich ein Song im Verlauf der Session stilistisch veränderte, ob und wie perfekt Sänger und Begleiter harmonierten, wie man sich bei „false starts“ verhaspelte.

Gene Vincent wiederum genießt anscheinend einen solchen Kult-Status als der Schmerzensmann des Rock’n’Roll, dass man nach dem 8-CD-Box Set „The Road Is Rocky ~ The Complete Studio Masters 1956-71“ zunächst die das Image des Rockers-in-schwarzem-Leder konterkarierende, aber ganz exzellente Kollektion „The Ballack Of Gene Vincent“ veröffentlichte, um jetzt auch die Outtakes zur Gänze auf sechs CDs nachzureichen. Wenn man hier—was auch schon mal ziemlich fad werden kann—von demselben Song nicht viele ziemlich ähnliche Versionen findet, hat das damit zu tun, dass der Mann die vorher gründlich probte, weil er nicht viel Zeit im Studio verplempern mochte. Im Regelfall beließ er es wie der berühmte Elmorejames bei höchstens drei bis vier Takes. Dann musste die definitive Interpretation vorliegen.

Weil diese zwischen Oktober 1958 und März 1967 entstandenen Aufnahmen in erster Linie doch das Sammlerteil für große Bewunderer dieses Rock’n’Rollers sind, geht Steve Aynsley in den umfangreichen Liner Notes sehr detailliert und durchaus nicht unkritisch auf qualitative, aufnahmetechnische und historische Aspekte dieser Outtakes ein. Ein wenig Fachsimpelei gestattete er sich dabei durchaus, ohne deswegen eitel den Kenner raushängen zu lassen (der er allerdings — ein äußerst gründlicher sogar! — zweifellos ist).

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