Gene Vincent – The Road Is Rocky – The Complete Studio Masters 1956-71

Der eine badboy des Rock’n‘ Roll war Larry Williams, Lennons wohl größtes Idol neben Elvis und mit seinem Hit „Short Fat Fanny“ übrigens auch zitiert in diesem wunderbar wüsten Rolling Stones-Song „Rip This Joint“. Der andere bad boy – Eugene Vincent Craddock aus Norfolk, Virginia – zeichnete sich wie dieser durch einen gewissen Hang zur Selbstzerstörung aus. Tödlich endete das in beiden Fällen. Dem später überwiegend als Dealer aktiven Larry Williams schoß man durch den Kopf- mutmaßlich, weil er Schulden nicht bezahlt hatte. Gene Vincent wiederum starb, längst ein hoffnungsloser Alkoholiker, 1971 an einem durchgebrochenem Magengeschwür.

In Frankreich war er immer die fanatisch verehrte Kultfigur gewesen: Das Rock’n’Roll-Idol als Leidensmann, dort ganz in schwarzem Leder, ein wenig wie Marion Brando, auftretend. Dabei das genaue Gegenteil von einem Schönling, nämlich ein hageres Bürschchen mit wilderer Frisur als Elvis und mit der proletarischen Physiognomie vom Typ von Vorstadt-Rebell. Ein gepeinigter Mensch, dessen Leiden keine Show-Routine war. Die Schmerzen waren vorhanden, seit er sich bei einem Motorradunfall – eine Frau hatte in einem Chrysler eine Ampel bei Rot überfahren – das linke Bein so verletzte, daß es nie wieder voll ausheilte. Weshalb er auf Dauer Schmerzmittel und Alkohol in Mengen konsumierte, die niemand unbeschadet überlebt.

Bizarr, aber wahr: Der Hit „Be-Bop-A-Lula“, B-Seite seiner Debüt-Single, machte ihn zum Idol, weil viele Discjockeys im Rundfunk die A-Seite nicht spielen durften oder mochten. Das war nämlich das heftig gestöhnte, für die Zeit sexuell unglaublich anzügliche „Woman Love“! Elvis hat damals ja einiges von Kollegen wie Little Richard aufgenommen. Diese Titel bezeichnenderweise nie. Vincent hatte mehr Fortune als große Rockabilly-Pioniere wie Charlie Feathers, dessen Talent Sam Phillips nie erkannte. In den Blue Caps besaß er eine mindestens so formidable Begleitband wie Buddy Holly mit den Crickets.

Gene Vincent konnte sich auf all die Profis um ihn herum verlassen, nicht zuletzt auch auf ein ordentliches Studio-Equipment und kompetente Produzenten und Techniker. Anders als der mit ihm befreundete Eddie Cochran sah er auch keinerlei Notwendigkeit, Klangexperimente mittels Overdubbing anzustellen. Der Echo-„Sound“ von Owen Bradleys Studio war nicht weniger perfekt und berühmt als der von Sun Records. Daß Capitol dennoch Gene Vincents Karriere in den USA nicht ähnlich dauerhaft in die Gänge bringen konnte wie RCA die von Elvis, hatte zwei Gründe: Anders als der King besaß Vincent keinen so skrupellosen Manager, der seinen Schützling genauso clever vermarktet hätte. Aber entscheidend war sicher auch, daß er als Komponist nicht so talentiert war wie ein Little Richard oder Eddie Cochran (mit denen er damals bis nach Australien auf Tourneen ging) und Buddy Holly, andererseits aber auch nicht so viele „Zulieferanten“ besaß, die für ihn Hits quasi maßgeschneidert hätten.

Einmal im Dezember 1959 nach England emigriert, sorgte ein neuer Manager dafür, daß Vincent endlos landauf, landab – darunter auch im notorischen Hamburger Star-Club und allerorten in Frankreich (wie gesagt: dort gefeiert wie kaum jemand sonst) – ausverkaufte Konzerte geben konnte. Aber der Erfolg war nicht von Dauer. Ausgerechnet Bands wie die ihn bewundernden Beatles (die ihn in Hamburg trafen) ließen ihn irgendwann etwas alt aussehen. Die Aufnahmen, die er – immer in finanziellen Nöten – für andere Plattenfirmen machte (alle hier gesammelt), hatten nicht mehr die zeitlosen Qualitäten von frühen Rock’n’Roll-Klassikern wie „Who Slapped John“ oder „Bluejean Bop“.

Vincent überlebte zwar seinen Freund Eddie Cochran, mit dem er bei dessen tödlichem Unfall im Auto saß, um gut zehn Jahre. Aber es war ein sehr elender und einsamer Tod, den er am 12. Oktober 1971 in einem Krankenhaus in Saugus, Kalifornien, starb, nachdem er wenige Tage zuvor aus England heimgekehrt war.

Über die Jahrzehnte sind von Gene Vincent Dutzende von Best Of- und Greatest Hits-Kollektionen erschienen. Nicht eine einzige in derselben erstklassigen Remastering-Qualität wie dieses Box-Set, das insgesamt acht CDs umfaßt und ein umfängliches Buch mit Notizen, Fotos und Memorabilia.

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