Grace Jones :: Hurricane

Lange ist es her, dass sich die Popmusik vornehmlich um Jugend und Aufbruch drehte. Heute – so hat man zumindest das Gefühl, wenn man in Feuilletons und Fachmagazinen darüber liest, geht es ums Bewahren von Traditionen, ums Zurückschauen, um Comebacks und vor allem ums angemessene Altern und Überleben. Man liest zum Thema besser Silvia Bovenschens „Älter werden“ als Jack Kerouacs „On The Road“.

Nun also kehrt Grace Jones zurück. Das schwarze Ex-Model mit dem Hang zum weißen Puder, das als androgynes Bond-Girl heterosexuellen Männern das Fürchten lehrte und zur Schwulen-Ikone wurde. Das auf seinen Platten New Wave mit Disco und Dub mischte. Eine Kunstfigur, um die sich bald Diskurse zu Gender und Race rankten, die seit den Achtzigern in den Werkzeugkasten jedes Poptheoretikers gehören. Mittlerweile sind Faszination und Fremdheit solcher Identitätsspielchen längst tottheoretisiert, Grace Jones‘ Model-Körper feierte seinen Sechzigsten, und das Eighties-Revival ist längst verklungen. Gibt es auch irgendetwas, das für ein Comeback spricht?

Wer den im Juli im Internet veröffentlichten Clip zur neuen Single „Corporate Cannibal“ gesehen hat, kennt die Antwort längst. Grace Jones im insektoiden Körper des Feindes, fragmentiert, verzerrt, bedrohlich. „I consume my consumers with no sense of humour.“ Keine produzentengedopte Madonnamusik für Hausfrau und Hausfreund, kein Pharrell Williams, kein Timbaland, kein Timberlake. Stattdessen Tricky-Beats, Maschinenmusik, bedient mit kalter 80s-Kralle. „Slave to the rhythm of the corporate prison“, brummelt die Jones. Die Sado-Maso-Spielchen des globalen Kapitalismus. Sehr gut, weiter, weiter.

„This is my voice. my weapon of choice“, sprechsingt Grace Jones nun zur Eröffnung von „Hurricane“, ihrem ersten Album seit 1989. Sly & Robbie, die schon auf ihren besten Alben Anfang der Achtziger den Rhythmus vorgaben, sind wieder dabei. „This is technology mixed with a band“, singt Jones. Nicht nur poptheoretisch ein Traum. Der Anti-Gospel „Williams‘ Blood“ klingt weniger gefährlich, ist eleganter 8Os-Pop mit Uuuhs und Aaahs im Chor – am Ende singt die anscheinend bekehrte Jones mit ihrer Mutter im Duett „Amazing Grace“. Der gefühlige Soul „I’m Crying (Mother’s Tears)“ ist Feminismus am lebenden Objekt. Überhaupt gibt es wieder viele Narrationen weiblicher Lebensläufe aus einer, sagen wir mal: postkolonialen Perspektive.

Sly & Robbie haben ihre großen Auftritte in „Well Well Well“ und „Love You To Life“. Letzteres – ein orchestraler Reggae mit Sade-Ref rain – ist neben „Corporate Cannibal“ und dem zunächst etwas konfus anmutenden Titelstück wohl der Höhepunkt dieses überraschenden Comebacks. Silvia Bovenschen wäre stolz auf Grace Jones.

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