Ist das Kunst – oder kann das weg? :: The Square

Der Cannes-Gewinner 2017: eine süffisante Komödie über das schlechte Gewissen des Mittelstands.

Christian (Claes Bang) ist ein Kunstkurator in Stockholm. Vor allem in der ersten Hälfte des Films wird er der Lächerlichkeit preisgegeben: Wir sollen ihn nicht mögen. Er ist ein sozialer Hochstapler, ein absolut unauthentischer Mensch, der sogar seine Spontaneität inszeniert, etwa indem er in eine Rede einen „charmanten“ Fehler einbaut. Erst mit der Zeit kommt er uns näher, schon weil wir vielleicht in Christian auch uns selbst erkennen.

„The Square“ arbeitet mit lang ausgespielten Szenen, die sich dann zu einem Porträt fügen. Man begleitet Christian durch ein paar Arbeits­tage. In präzisen, sprechenden Momenten und Erlebnissen folgt man ihm, seine Doppelmoral wird erkennbar, und zugleich deren Erschütterung. So entsteht ein Porträt eines lächerlichen Mannes. „The Square“, eine schwarze, manchmal auch süffisante Gesellschaftskomödie, die die Illusionen von Demokratie und Gerechtigkeit, das schlechte Gewissen des Mittelstands, die politische Korrektheit und die Moralisierung gesellschaftlicher Verhältnisse aufs Korn nimmt, nutzt das Leben dieser Hauptfigur zu einer Abrechnung mit unserer Gegenwart.

So wird eine öffentliche Diskussion Christians aus dem Publikum immer wieder mit unflätigen Ausrufen gestört, bis sich eine Dame meldet: „Sorry! Mein Mann hat Tourette.“ Die Frage, warum man den Mann nicht einfach rauswirft, steht im von peinlichem Schweigen und vereinzelten peinlich berührten Lachern erfüllten Raum. Die Frau erklärt: „Die Atmosphäre stresst ihn.“ Dann steht einer auf: „Bitte zeigt mehr Toleranz!“ Regisseur Ruben Östlund („Höhere Gewalt“), der mit diesem Film im Mai die Golden Palme gewann, ironisiert hier eine vollkommen übertriebene Toleranz, einen sozialen Selbstmord aus Angst vor dem Tode.

Elisabeth Moss als Anne in einer Szene des Films "The Square"
Elisabeth Moss als Anne in einer Szene des Films „The Square“

Ist alles, was im Museum steht, schon Kunst?

Bei einem Abendessen für die reichen Förderer des Museums unter dem Motto „Welcome to the Jungle“ tritt ein Performancekünstler als Affe auf und wird den Gästen gegenüber gewalttätig. Die nehmen fast alles hin, bevor die Szene umschlägt. Östlund zeigt hier noch einmal eine Toleranz für „das andere“ aus Scham und Selbstkritik, die in die Selbstdemütigung einer Gesellschaft mündet, der direkt die Gleichgültigkeit und Nivellierung aller Geltungs- und Vernunftansprüche folgt.

Der Titel des Films ist auch der einer neuen Ausstellung, die Christian gerade eröffnet. Darin geht es um einen freien Raum, in dem alles möglich und nichts gewiss ist – ein Sinnbild auch für die mögliche Sinnleere moderner Kunst. Ist etwas dadurch, dass es im Museum steht, Kunst? ­Eine alte klassische Frage, die hier aber durch eine Art Running Gag aktualisiert wird: Immer wieder sieht man Menschen vor modernen Kunstwerken stehen, die nicht zu ihnen zu sprechen scheinen. Hier wird manches etwas billig: wenn der Museums­koch bei einer Vernissage sein Büffet vorstellt und darüber redet wie ein Künstler, ihm aber keiner zuhört. Oder wenn ein Reinigungswagen eines Nachts zu einem Kunstwerk aufgehäufte Kieselsteine wegsaugt und dies zum Versicherungsfall wird.

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Tiefsinniger aber ist die Geschichte eines Clips für die sozialen Netzwerke, der zuerst das Ziel hatte, durch Provokation Aufmerksamkeit zu erzeugen, dann aber einem Kunstbetrieb zum Opfer fällt, der sich längst an die Macht des Geldes verkauft hat. Christian ist verantwortlich und muss gehen, weil die Geldgeber das wollen – die offizielle Begründung ist aber eine moralisierende: Sein Clip habe die Gefühle der Öffentlichkeit verletzt.

Das geht einher mit dem, was sich tagtäglich erleben lässt: dem Ende der Kunst, wie wir sie kennen. Kunst verliert ihre kritisch irritierende Funktion und wird wieder zum stabilisierenden Innendesign der herrschenden Verhältnisse. Das Kino reflektiert die Lage der Gegenwart. Wie immer in schweren Zeiten steigt die Konjunktur des Humors. Dieser ist eher bissig als gelassen, eher schwarz als heiter. So wird man in diesem ungemein reichhaltigen, von Einfällen nur so strotzenden Film Zeuge einer präzisen Auskunft über den Stand der Dinge. Über Unsicherheit und Erschöpfung unserer Welt, über die Notwendigkeit, uns neu zu erfinden.

- picture alliance / -/Alamode-Fil
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