Jackie Leven – Oh What A Blow That Phantom Dealt Me!

Da sitzt der knorrige Schotte in der Bar, kippt sich einen hinter die Binde und beobachtet, wie andere das gleiche tun. Und was um ihn herum passiert. Welche Bilder an der Wand hängen und was es damit wohl auf sich hat. Oder, da Leven es natürlich nicht weiß, möglicherweise auf sich haben könnte. Dann schließt er die Augen und spinnt sein flammendes Seemannsgarn, das er auf einer immer neuen Platte nacherzählt. Im Sinne Levens ist eine Bar ein Sammelort für Gestrandete und Verstoßene, für Geister und Getriebene, ein Scheiterhaufen mit nicht immer einwandfreier Vergangenheit. Wie auch Leven selbst seine unbarmherzigen Dämonen erst spät abschütteln konnte. So viel zur Perspektive.

Doch das schätzungsweise 23. Album des Sängers krankt teilweise daran, dass es ein allzu gemütliches Sequel der letzten drei, vier LPs ist. Der Opener „Vox Humana“ hört sich kompositorisch nicht nur verdächtig nach Levens Baukastenprinzip an, er versammelt zur bekannten Folk-Instrumentierung auch die obligatorischen Stichwörter (Whisky, bar, barman’s wife, londy Scotsman etc). Die Fans werden das erfreut zur Kenntnis nehmen, aber neue Hörer dürfte Leven damit kaum erschließen. Preaching to the converted. Etwas Abwechslung bringt da zumindest Johnny Dowd, den Leven bei einer gemeinsamen Flasche Absinth akquirieren konnte. Sein Zutun: gekonntes Reinbrummeln in den gelungenen Blues „One Man One Guitar“ sowie der siebenminütige Vortrag des Gedichts „The Skaters“ von Kenneth Patchen. Vielleicht hätte Dowd auch noch den einen oder anderen Song produzieren sollen.

Zollte Leven auf der letzte LP noch Johnny Cash Tribut, gibt es diesmal eine zärtliche Hommage an Judee Sill („The Silver In Her Crucifix“, absolut gelungen) sowie einen Song für den verstorbenen Kevin Coyne („Here Come The Urban Ravens“, lieb gemeint). Sein Leben als notorische Rumtreiber, der in jeder noch so kleinen Kneipe ein Konzert gibt, kultiviert Leven im Aufgalopp „I’ve Been Everywhere“. Die Aufzählung aller deutschen Städte, in denen er bereits gastierte, wird durch die begeisterte Wiederholung der Stadt „Baden-Baden“ im Refrain ergänzt. Was für ein Spaß!

Und dennoch hat der sympathische iron man durch die allzu häufige Rezitation der eigenen Werke schon leichten Rost angesetzt. Und so möge er die Ruhe und Reinheit der schottischen Wälder der muffigen Kaschemmen-Luft mal wieder vorziehen. Denn mit Einbruch der Dunkelheit dürften dort bald jene Mythen spürbar werden, die den Stoff für die nächsten Geschichten liefern.

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