Jazz

Die 93er Doppel-CD des legendären Drummers Tony Williams bot immerhin 141 Live-Minuten – so spannend, wie Hardbop heutzutage sein kann. Vom damaligen Quintett ist nur der Boß an „Wildemess“ (Blue Note) beteiligt: als Arbeitgeber für Prominenz von Michael Brecker bis zu Herbie Hancock und Stanley Clarke sowie als ambitionierter Komponist, der auf Streicher setzt, um von der „guten Seite“ unserer Instinkte zu erzählen. Fade Pseudo-Klassik, altbacken-überladene Fusion: Daß die ersten zehn Titel halbwegs genießbar sind, ist vor allem Verdienst von Brecker und Pat Metheny, der auch als Komponist eines Titels Geschmack beweisen darf. Die letzten drei retten sodann mit (viel) Ach und (wenig) Krach den Ruf der Wildnis. 3,0

Betty Carter steht im Ruf, erstens immer wieder brillante junge Musiker zu entdecken und zweitens mehr auf Improvisation Wert zu legen als auf die Original-Melodien. Den bestätigt aufs schönste ihr vor allem in Slow Motion gehaltenes Opus „I’m Yours, You’re Mine“ (Verve). Bewundernswert ist die elegante Abbrems-Kadenz, mit der sie „This Time“ beendet. Im besten Sinne an AI Jarreau erinnernd der Seat-Gesang beim Titelsong. Real spooky, wie sie bei „Lonely House“ die Töne zieht. Ob Jobim oder Weill – hier erscheint jede Komposition in aufregend neuem Licht. 4,5

Solche Ambitionen liegen ihrer Sangeskollegin Kristin Korb fern, obwohl sie sogar der „Night In Tunbia“ neue Nuancen abgewinnt. Bisher spielte Kristin Baß. Das kann Ray Brown noch besser, und der steht mit Benny Green im Dienst der guten „Introducing Kristin Korb“-Sache (Telarc/in-akustik). Erfrischend unbefangen interpretiert Kristin ihr traditionelles Repertoire. Rasante Scats und freche Phrasen werden mit viel Charme serviert. 4,0

„My Corner Of The Sky“ (Blue Note): Popsongs von Bacharach bis Sting, von Leon Russell bis David Bowie machen den Privathimmel der Skandinavierin Caecilie Norby aus. Ihren vom Rhythm ’n‘ Blues kommenden Gesang stützen Jazz-Musiker wie Dave Kikoski (p), Michael Brecker (ts) und Terri Lyne Carrington (d). Eine solide Sache – und doch wird nicht recht klar, warum es eine Norby-Version von „Spinning Wheel“ oder „Calling You“ braucht. 3,5

In einem Münchner Studio traten die Brüder Scales (g & b) mit dem Saxophonisten Johannes Enders, dem Keyboarder Stefan Schmid und Falk Willis – dem mittlerweile aufregendsten Drummer deutscher Herkunft – den Beweis an, daß Fusion an der Nähe zum Rock-Jazz nicht leiden muß. das Album“ This And More“ (Edition Collage) hat fast so viel Biß wie ein Konzert der Scalesenders. 3,5

Für die derzeit spannendste Fusion stehen Bands, an denen der Gitarrist Nguyen Le beteiligt ist. Ob in aberwitzigem Tempo und hochtechnisiertem Sound oder lyrisch-subtil: Le ist zugleich kühner Improvisator und hochgradig sensibler Mitmusiker für die Bassisten und Rhythmiker seiner „Three Trios“ (ACT/Edel Contraire). Auf zwei Songs, deren Phrasierung von Les „Tales Of Vietnam“ beeinflußt ist, folgt eine abenteuerliche Reise ins Land von Ethno (vor allem mit Renaud Garcia Föns) BC Rock (insbesondere mit Peter Erskine und Marc Johnson), von undogmatischem Jazz (nicht nur mit Dieter Dg und Danny Gottlieb) und psychedelischem Improvisationsrausch. Drei Trios – und jedes von ihnen klingt vielfältig, als käme die Virtuosität von drei Gitarristen zum Tragen. 4,5

Ein gutes Zeichen ist auch stets, wenn Leon Parker sich mit seinem minimalistischen Drumset an einer Produktion beteiligt. Der junge Altsaxophonist Allen Mezquida setzte bei seinem Debüt ganz auf die Kompositionen seines Bassisten Scan Smith. Klarer Fall von „A Good Thing“ (Kodi), daß die Platte von 1992 nun endlich auch in den deutschen Regalen gelandet ist. 3,5

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