Joni Mitchell – Hits / Misses :: Reprise/WEA

Reprise/WEA Die Frau hat Nerven. Und Humor. Für das Cover zu ihrem letzten Album, „Turbulent Indigo“, kopierte Joni Mitchell ein Selbstbildnis Vincent van Goghs und malte sich samt bandagiertem Ohr. Und auch das erste Best-Of-Unterfangen ihrer 30jährigen Karriere zeichnet sich durch eine morbide, mordlustige und metaphorisch deutbare Optik aus. Die Retrospektive findet in zwei Teilen statt: Für die CD ,JIits“ liegt Joni Mitchell wie überfahren auf der Straße, um sie herum Kreidestriche. Auf der Hülle von .^Misses“ reckt sie uns, während sie auf der Straße mit der Kreide rumkrickelt, ihr Hinterteil entgegen. Hier die Künstlerin, die von ihren eigenen Klassikerin überrollt wurde; dort die Künstlerin, die sagt: kiss my ass! Aber das sagt sie irgendwie mit beiden Alben, denn die karge Cover-Gestaltung läßt auf eine Punk-Band schließen. Joni Mitchell ist nicht die erste, die einen unterteilten Rückblick vorgelegt hat Auch Devo veröffentlichten einst ihre „Greatest Hits“ und „Greatest Misses“ – allerdings nicht simultan. Und auch nicht aus einer solchen Dringlichkeit heraus. Tatsächlich existieren zwei Mitchells: Die Songs der einen können als explizite Manifeste einer Generation gelesen werden, die der anderen als esoterische Selbstversuche. So verdichtet sich in der Anthologie auch noch einmal Mitchells Status zwischen Folk-Fee und Jazz-Chanteuse, zwischen Ikone und Stürmerin der eigenen Bilder. Passenderweise wird ,JIits“ mit „Urge For Going“ eröffnet Ein guter Anfang für die Rückschau einer Künstlerin, die ihre Kunst tatsächlich in stetiger Bewegung hielt Außerdem war es einer ihrer ersten Songs überhaupt, und er verdeutlicht eine wichtige Tatsache: Oft waren andere Interpreten mit ihren Kompositionen erfolgreicher als sie selbst. So machte Tom Rush „Urge For Going“ bekannt wie Crosby, Stüls, Nash 8C Young ihr „Woodstock“, das natürlich ebenfalls hier zu finden ist Muß man es erwähnen: Von „Chelsea Morning“ bis „River“ wird kein Evergreen ausgelassen. Schön, daß Joni Mitchell zum Schluß die chronologische Ordnung aufgibt und „Hits“ mit dem grüblerischen „Both Sides, Now“ von 1969 schließt – ein Zweifeln am Ende einer ansonsten definitiv ausgerichteten Greatest-Sammlung. Und eine gute Überleitung zu ,JWisses“, auf dem die unpopulärere Seite der heute 53jährigen ausgeleuchtet wird. Hier sind die Singles zu finden, die nie welche waren. Weil die verantwortlichen Plattenfirmen dagegen waren. Die herausragenden Momente dieser Reihung kommerzieller Fehlschläge sind „The Wolf That Lives In Lindsay“, Resultat ihres Aufeinanderpralls mit dem Jazz-Monolithen Charles Mingus, das 1979 auf dem Requiem „Mineus“ erschienen ist, sowie dasStück „Harry’s House/Centerpiece“ vom Album „The Hissing Of Summer Larvns“. Das sind Kompositionen, die souverän zwischen Folk und Jazz oszillieren – die haben natürlich keine Chance in den Charts. Dir Format sprengt jede Hitparade. Christian Buss

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