Kante – Die Tiere sind unruhig
Hunde, Vögel, Falter, Motten, Grillen und Käfer huschen durch die Lieder. Geier lauern im Dunkel, und für die atemlose Radau-Single „Die Wahrheit“ verkleiden sich die Bandmitglieder als Bären, Gorillas und Igel: Während Jochen Distelmeyer mit Blumfeld die Flora als Topos für den Popdiskurs neu erschlossen hat, wendet sich sein Ex-Bassist Peter Thiessen mit Kante der Fauna zu, lässt Freejazz-Exkurse hinter sich, hängt die Gitarre tiefer und mimt den animalischen Rocker.
Wild gebärdet sich auch das Wetter auf „Die Tiere sind unruhig“. Um Sturm und Hitze, Blitz und Donner kreisen die sieben Songs, machen das Album zu einem Meisterwerk der Neoromantik, indem das Aufgewühltsein der Natur Metapher für den gesellschaftlichen Aufruhr und für einen fiebrigen Erregungszustand im Zwischenmenschlichen wird. War die Krise auf „Zombi“ (2004) schon ersehnte Möglichkeit des Neuanfangs, so steht die Apokalypse nun unmittelbar bevor. „Ein Sturm ist im Kommen, es könnte jeden Moment passieren“, singt Thiessen im Titelsong, der als quengelnder Weckruf beginnt und unter dessen pathetisch aufgeladener Oberfläche eine nervöse Gitarre und ein hibbeliges Schlagzeug Alarmbereitschaft signalisieren. Und hatte sich Thiessen auf „Zombi“noch nach der nicht endenden Nacht gesehnt, so erzählt er jetzt im vom Stoner-Rock inspirierten Ritfmonster „Ich hab’s gesehen“ von seiner Reise ins Herz der Finsternis, die ihn von Joseph Conrad zu „Apocalypse Now“ geführt hat.
Dass die von Moses Schneider (Tocotronic, Beatsteaks) produzierte Platte mehr Indierock als Postrock ist. Abwegiges nur im funkigen „Die größte Party der Geschichte“ und in „Ducks And Daws“ – einer jazzigen Instrumental-Suite in Cinemascope zulässt, stört einen nur wenig, weil die musikalische Inszenierung genau den Ausdruck von Thiessens Texten entspricht, die stets ganz Wahrnehmung sind, das Unmittelbare und das Kopflose suchen, erleben statt erkennen wollen. „Ich spür’s in dir, ich spür’s in mir/Wenn unsere Körper sich berühren“, heißt es in „Nichts ist verloren“, das in Sinnesorganen verwandelte Menschen zu einem hypnotischen E-Klavier-Beat aufeinander loslässt. In der Ballade „Die Hitze dauert an“, bei der sich aus Streicherarrangements und Gitarrenmelodien immer neue Schichten der Melancholie herausschälen, singt Thiessen: „Doch für uns ist nichts verloren/ solang die Zeit noch in uns wohnt/ solang der Schmerz im Wandel bleibt/ auch wenn die Zeit ihn nicht mehr heilt.“ Und die Hunde bellen, die Käfer leuchten, die Vögel verstummen, und die Füchse wagen sich vom Wohlstandsmüll angelockt aus dem Wald.