Karl Bruckmaier :: The Story of Pop

Man könnte meinen, eine Generation wolle den Pop nun zu Grabe tragen, so sehr rufen Ende der 50er-, Anfang der 60er-Jahre geborene Autoren ihm nach und erinnern sich an seine Geschichte, die sie jeweils zwischen zwei sehr weit voneinander entfernte Buchdeckel zwängen: Bob Stanley in „Yeah Yeah Yeah!“ scharfsinnig und mit Mut zur Lücke, Diedrich Diederichsen in „Über Pop-Musik“ semiotisch, ästhetisch und soziologisch und nun also Karl Bruckmaier. Den kennt man durch seine oft herrlich schnoddrigen Texte, die er v. a. für die ‚Süddeutsche Zeitung‘ verfasst. Faktenhuberei und Theoriestalinismus seien seine Sache nicht, macht er gleich im Vorwort von „The Story of Pop“ klar, „no guru, no method, no teacher“ zitiert er Van Morrison herbei und nennt dann doch Nik Cohn, Lester Bangs und Greil Marcus als Gewährsmänner. Vor allem das visionär Raunende des Letztgenannten, der den Mythos in seinen Texten mindestens gleichrangig neben die Historie stellt, hat Bruckmaier sich für seine Popgeschichte angeeignet. 

Im neunten Jahrhundert, am Hof des Kalifen von Córdoba, beginnt sein Bericht über kulturelle Befruchtungen und Verschmelzungen. Er erzählt vom arabischen Oud-Virtuosen und Dandy Ziryab, der persische und indische Klänge nach Spanien brachte, von nordafrikanischen Berbern, die mit Trommeln (einem Leitmotiv in „The Story of Pop“) in Kastilien gegen Christen kämpften, von Reconquista und Sklavenhandel. Wurden nicht hier, fragt Bruckmaier, die Grundbedingungen von Pop geschaffen – „Europa plus Afrika, plus ein unerwartet sich öffnender Freiraum auf der anderen Seite der Welt“? Es folgen die Überfahrt der Freien und der Unfreien, der Verdammten und der Auserwählten ins gelobte Land und die Entstehung der Idee eines „Amerika of the mind“. Bruckmaier besucht New Orleans, berichtet von work songs, Kirchenliedern und Utopien, vom Country in Tennessee, dem Jazz in Harlem und der Avantgarde in Paris, vom hedonistischen Britannien, dem US-Folk und dem Judasevangelium nach Dylan, vom Prager Frühling, den deutschen 68ern, Punk und New Wave. Die Kapitel sind kurz, die historischen Unschärfen gewollt, Quellen werden nirgendwo genannt, dafür gibt es einen Track von Woog Riots als Download und 30 Seiten mit Aufnahmen des Fotografen Olaf Unverzart, die „Trying To Dance“ betitelt sind und u. a. eine Wursttheke, eine umgefallene Kuh und eine Ziege mit dem Kopf in einem Blecheimer zeigen – „die idealtypische visuelle Antwort auf meine Art zu texten“, schreibt Bruckmaier, der eben aus allem eine gute Geschichte machen kann.

„Pop ist das Agens des ,pursuit of happiness‘ in unserer Zeit, das Agens einer immerwährenden Aufklärung“, schreibt er am Ende. Dieser geborene Storyteller scheint den Pop noch nicht begraben zu wollen. (Murmann, 29,99 Euro)

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