Kleine wahre Lügen :: Marion Cotillard, Benoît Magimel

Regie: Guillaume Canet Start: 7.7.

Ein Mann taumelt zugekokst aus der Toilette, flirtet im Vorbeigehen anzüglich („Haben wir schon miteinander geschlafen?“) mit einer Frau und stürzt sich wild auf die Tanzfläche. Doch nach einem kurzen Wortwechsel mit einem Bekannten verlässt Ludo (Jean Dujardin) plötzlich die Diskothek und steigt auf seinen Motorroller. Paris im Morgengrauen. Mildes Licht, besinnliche Stille. Je länger er aber mit glasigem Blick durch die fast leeren Straßen fährt, desto bedrohlicher erscheint die Atmosphäre. Kreuzung folgt auf Kreuzung. Man wartet förmlich auf den Knall.

Mit dieser Anfangssequenz ist Regisseur Guillaume Canet ein kleines dramaturgisches Kunststück gelungen. Der Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung, Lärm und Ruhe, Spaß und Tragik bestimmt fortan den Rhythmus seines dritten Films, dessen Auftakt den Zuschauer wie ein Sog suggestiv in die Geschichte zieht. Die handelt weniger von Ludo, der nach einem Zusammenprall mit einem Kleinlaster im Koma auf der Intensivstation liegt, sondern von seinen Freunden, die zwar zunächst geschockt im Krankenhaus eintrudeln, dann aber dennoch in ihren alljährlichen gemeinsamen Urlaub abreisen. Nur ohne Ludo eben. Man könne ja jetzt ohnehin nichts für ihn tun. Wenn es ihm besser geht, sei man ja wieder da. C’est la vie.

Das schlechte Gewissen begleitet die Clique zwar ans Cap Ferret, wo Max (François Cluzet) ein luxuriöses Ferienhaus direkt am Strand besitzt, doch die im August wahrlich traumhafte Atlantikküste, Bootsausflüge, Wein und Austernessen sorgen immer wieder für Ablenkung. Und außerdem hat jeder seine eigenen Sorgen. Ludos Exfreundin Marie (Marion Cotillard) flüchtet sich in rein sexuelle Beziehungen – auch mit Frauen. Die naive Nervensäge Antoine (Laurent Lafitte) verkraftet nicht, dass ihn seine Freundin verlassen hat und nun heiraten will. Eric (Gilles Lellouche) ist ein zweitklassiger Serienschauspieler und Filou, der mit lässigen Sprüchen von seiner Sinnkrise ablenkt. Chiropraktiker Vincent (Benoît Magimel) hat seine Jugendfreundin geheiratet und einen kleinen Sohn – gesteht nun aber Max seine Liebe. Das macht den ohnehin misstrauischen, aufbrausenden Hotelier noch explosiver.

Die – zumindest für diese Generation – üblichen trivialen Probleme also. Und die Charaktere bewegen sich auch am Rande des Klischees. Aber so ist halt das Leben, scheint Canet zu sagen – voller Alibis, Angst und Ärgernis. Der ganz normale Alltag. Und ebenso tragikomisch wie bewegend führt der Regisseur in einer starken ersten Filmhälfte die Lebenslügen, die eskapistische Normalität und emotionale Unfähigkeit seiner Protagonisten vor. Doch leider muss er für jeden eine Lösung finden, und nach der sucht er leider allzu oft im emotionalen Kitsch.

Das wäre ja vielleicht nicht weiter schlimm – auch das Leben neigt ja mitunter zum Kitsch -, doch der Schluss entgleitet Canet dann vollkommen. Auch wenn es als stillos und unhöflich gilt, sollte man in diesem Fall vor der letzten Minute das Kino verlassen.

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