Lily Allen

No Shame

Die Britin erzählt von Katastrophen und Krisen – in Popsongs, die so lange putzig klingen, bis sie einem das Ohr abbeißen

Es ist nie zu spät für eine Identitätskrise. Bei Lily Allen kam sie mit 29, als sie gerade ihr drittes Album, „Sheezus“ (2014), veröffentlicht hatte. Sie war unzufrieden mit ihren eigenen Liedern, mit der Musikindustrie, mit ihrem Ehemann. Die beiden letztgenannten Probleme beseitigte sie durch vorübergehenden Rückzug und Scheidung, das bot dann wiederum genug Stoff für eine neue Platte. Allen hielt noch nie etwas davon, sich in ihren Songtexten zurückzuhalten mit privaten Informatio­nen – darin ähnelt sie einer anderen britischen Feministin: Caitlin Moran, für die es auch kein „oversharing“ gibt. Alles muss raus, das befreit und beflügelt im besten Fall auch noch andere, ­ihre eigenen Ängste und Zwänge zuzugeben und loszulassen. So hofft es jedenfalls Lily Allen, also: „No Shame“.

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„I’m a bad mother/ I’m a bad wife/ You saw it on the socials, you read it online“, stellt sie gleich im Auftakt, „Come On Then“, fest. Sie klingt immer noch wie eine Schulabbrecherin, die sich zärtlich anschmiegt, um einem dann das Ohr abzubeißen. „If you go on record saying that you know me/ Then why am I so lonely, ’cos nobody fucking phones me?“ Wir kennen natürlich nur die Krawallschachtel, die immer noch mit ihrem Popstarstatus kämpft. In „Trigger Bang“ erklärt Allen, dass sie leider nicht mehr mit der „cool gang“ rumhängen könne – zu viele Versuchungen!

Der Rapper Giggs grätscht hier dazwischen, wie das später auch Burna Boy und Lady Chann tun, aber die Oberhand behält immer Allen – selbst wenn sie bloß „Nanananana“ singt, klingt das nur oberflächlich putzig, darunter lauert immer etwas Gefährliches. Sie baut wieder HipHop-­Passagen da und ein bisschen Reggae dort ein, aber der Kern bleibt POP in Großbuchstaben. In your face, was sonst?

Magst Du mich auch mit falschen Zähnen?

Im Studio in Los Angeles empfing sie Mark Ronson und Ezra Koenig (Vampire Weekend) zum gemeinsamen Songwriting, auch Tim Rice-Oxley (Keane) und Sam Duckworth (Get Cape. Wear Cape. Fly) sind dabei, doch am Ende klingt zum Glück jeder Song nur nach Lily Allen – so ähnlich ist das bei Adele ja auch. Und wuchtige Balladen wie „Family Man“ oder „Three“ und die gnadenlose Ehe-Bilanz „Apples“ würden der tatsächlich auch stehen.

Danach zieht Allen das Tempo wieder an, sie sucht die Liebe in den Betten von Paris, New York und Texas, findet nur „Waste“ und fragt sich schließlich, ob es den Mann überhaupt gibt, der sie noch mit falschen Zähnen mögen wird – um im letzten Song, dem unwiderstehlichen „Cake“, wieder bei sich selbst anzukommen.

Ein Machtwort: „They will try to take you down/ Men in the middle keep the world spinning round/ Love this life, stand your ground/ I don’t see no reason you can’t/ Have your cake and eat it!“ (Warner)

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