Link Wray – White Lightning – Lost Cadence Sessions ’58
Die drei neulich publizierten, endlos mit Raritäten des frühen Link Wray aufwartenden „Missing Links“-CDs dürften der Stoff sein, von dem Rock ’n‘ Roll- Fans träumen. Das Sahneteil für Kenner und Bewunderer der Gitarristen-Legende sind die jetzt überhaupt erstmals öffentlich gemachten Aufnahmen für Archie Bleyers Cadence-Label, die fast fünf Jahrzehnte unter Verschluss gehalten worden waren. Die Geschichte ist einfach zu gut, als dass sie nicht doch noch einmal erzählt werden sollte: Der halb taube junge Mann, dem man wegen Tuberkulose eine Lunge entfernen musste, hielt es nie mit renommierten Persönlichkeiten der Zunft wie Chet Atkins. Um möglichst verzerrte Gitarrenklänge zu produzieren, malträtierte er auch schon mal heftig die Membranen richtiggehend physisch.
Eines seiner frühen, mit hundert Prozent Klirrfaktor gespielten Instrumentals war „Oddball“. Das und zwei andere hatte er mit seinem Bruder für ganze 57 Dollar aufgenommen und das Azetat (Anpressung) einem Discjockey in die Hand gedrückt, der das nicht übel fand und es seinerseits bei einem Besuch Archie Bleyer vorspielte, dem Besitzer eines prosperierenden Indie-Labels. Dafür bürgten Chordettes, Andy Williams und Everly Brothers. Bleyer fand den höllischen Lärm furchtbar, seine junge Tochter liebte ihn, als sie zufällig das Azetat daheim fand und bei seiner Party spielte. Fast genötigt, brachte Bleyer das doch unter dem neuen Titel „Rumble“ (Idee seiner Tochter) raus und handelte sich mit diesem Hit enormen Ärger ein.
Heute würde kein Staatsanwalt auf die Idee kommen, Eminem, 50 Cent oder irgendwelche angesagten HipHopper und Gangsta-Rapper wegen Anstiftung zu organisierter Bandenkriminalität vor den Kadi zu bringen. Aber genau diesen Vorwurf handelte sich Link Wray mit seiner Debüt-Single umgehend ein. Manche Sender spielten die gleich gar nicht, und nach maliziösen Kommentaren in manchen Branchengazetten und Vorwürfen von besorgten Bürgern bereute Bleyer bitterlich, dass er seiner Tochter je nachgegeben und die Platte rausgebracht hatte. Für ihn war da klar: Das gute Dutzend Aufnahmen, das Bruder Vernon Wray auch sofort mit den Wraymen aufgenommen hatte, würde er nie veröffentlichen. Um zu verhindern, dass die jemals irgendwer zu Gehör bekommen könnte, nahm er sie mit nach Hause. Als er 1988 starb, kaufte sie sein Freund Michael Lund aus dem Nachlass auf und lizenzierte sie an Rollercoaster Records.
Hier sind also diese Ur-Fassungen von „Pancho Villa“. „Creepy“, „White Lightning“ und „Raw-Hide“ erstmals remastered auf CD zu hören. Seine Cover-Version von Duane Eddys „Rebel Rouser“ auch. Und endlich auch auf CD nachgereicht: die 14 „Early Recordings“(Chiswick/Soulfood, 4) aufgenommen nach dem Weggang im Zorn von Epic Records, wo man seine Aufnahmen allen Ernstes mit Streichern verzieren wollte. Auch die hier zu hörende Version von „Rumble“ macht in ihrer Urgewalt plausibel, warum dieses Instrumental für Pete Townshend zum Damaskus-Erlebnis wurde und die Who später bald auch auf das „Batman Theme“ zurückkamen. Mehr nach Garage als hier klang nichts, was Lenny Kaye später auf den „Nuggets“ präsentieren sollte! Gegen die hier gebotene Version von Willie Dixons „Hidden Charmes“, damals eines der wenigen Nicht-Instrumentals für Swan Records, klingt da ja vieles wie ganz nette Popmusik. Und fast möchte man viel Geld darauf verwetten, dass John Cipollina sich „I’m Branded“ als die Blaupause für sein Spiel nahm. Das ist absolut grandioser Proto-Psychedelic-Rock mit einem atemberaubenden Link Wray-Solo. Wie der Killer am Ende von „Point Blank“ über Lee Marvin sagt: ganz große Klasse!