Lucinda Williams :: West

Liebesleid und Desillusionierung in Americana-Ambiente

In aller Regel handeln die Songs von Lucinda Williams vom Ende der Liebe, dem Umschlagen von Liebe in Wut, von Betrug in der Liebe und den Enttäuschungen der Liebe, von der Hoffnung auf Liebe und dem Verlangen nach Liebe. Mit diesem überschaubaren thematischen Programm hat sie mindestens drei, wahrscheinlich fünf Meisterwerke aufgenommen. Lucinda Williams gilt so unangefochten als Amerikas beste Songschreiberin wie Helen Mirren als beste Schauspielerin des letzten Jahres.

Die Songs von „West“ hat Lucinda ebenda geschrieben, nämlich in Burbank, Kalifornien. Wenn sie im Titelsong, dem letzten Stück der Platte, „Come out west and see“ fordert, dann meint sie weniger den Westen als sich selbst. Sie ist sich selbst Attraktion genug und kennt ihre Schauwerte als drama queen. „West“ hat sie gemeinsam mit Hai Willner produziert, der zuletzt ein Album mit Piratenliedern und Shanties zusammengestellt hatte, an dem Lucinda beteiligt war. Neben Doug Pettibone ist diesmal Bill Frisell an der Gitarre, Tony Garnier bedient den Bass, Jim Keltner das Schlagzeug, Rob Burger sitzt an Piano und Orgel. Jenny Scheinman ergänzt die Violine (und die Streicher-Arrangements). Selten sind diese Lieder aufgekratzt, Country und Blues kommen nur als Spurenelemente vor. Mancher Jünger ist enttäuscht von der heruntergedimmten, balladesken Stimmung der Songs, dem linearen, elegischen Spiel der Band. Bei „Mama You Sweet“ klöppelt das Ensemble so stoisch und leicht wie auf einer Platte von T Bone Burnett (oder dem späten Dylan). „Learning How To Live“ ist eines der großen Williams-Überlebenslieder, und es ist stets ein Ereignis, wenn ihre heisere Stimme plötzlich bricht vor Trauer und Anstrengung, überhaupt noch etwas herauszubringen. „Fancy Funeral“ handelt von der Unnötigkeit pompöser Beerdigungs-Zeremonien, von Williams erlebt nach dem Tod der Mutter (an deren Begräbnis sie schließlich nicht teilnahm): „Cause no amount of riches/ Can bring back what you lost.“

Dann gibt es das Sehnen im gedehnten, lauten, bedrohlichen „Unsuffer Me“ und in „Where Is My Love“ (mit wunderbarem Violinensolo) und die Desillusionierung im ätzenden „Come On“ („You don’t even make me, come on!“), in „Everything Has Changed“,“Rescue“(„He can’t protect you from the powers that will be“) und im neunminütigen, zornigen Talking Blues „Wrap My Head Around That“, der typischen Lucinda-Williams-Tour-de-force der Platte: „I can’t believe I believed you…“ In „Words“ freut sie sich darüber, dass ihr wenigstens die Worte immer bleiben.

Wenn überhaupt etwas stört an den glänzenden Songs, dann ist es diese Selbstgewissheit, dass die Williams sich an ihrer Musik selbst aus dem Sumpf ziehen kann – und dass sie Verlust und Schmerz so eloquent zu sublimieren versteht. Außer vielleicht in „What If“ (Lucinda stellt sich hier eine vertierte, aber umso schönere Welt vor, in der allen Menschen zu gleichen Teilen Liebe zukommt) entgeht sie stets dem Kitsch.

Lucinda Williams darf sich als emotionales Zentralmassiv des Westens fühlen. Sie ist so gewaltig.

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