Massive Attack – 100th Window

Atmosphäre statt Struktur - immer noch eher Skizzen als Songs

Natürlich: Ein gemeinsames Fortkommen des ohnehin mehr oder minder fiktiven Genres TripHop wird es nicht geben. Die Inspiration des Moments, wie ihn Bristol erlebte, reichte nur für einen einzigen gemeinsamen Schritt, dann schon musste der Weg sich teilen und jeder zusehen, wo er bleibt – danach war nur noch das hilflose Suchen nach Überschriften für eine nicht geschriebene Geschichte und einem einzigen Hut für viele Köpfe.

Während nun Tricky aus dem Schatten getreten ist und Beth Gibbons mit einer wunderbaren Platte den Blick aufs eigene musikalische Kernland freilegt hat, bleiben Massive Attack bei des Schusters sprichwörtlichen Leisten und verstehen die eigene Kunst lieber nicht als Beitrag zum globalen Musikdiskurs. Eben das mag an „lOOth Window“ zunächst enttäuschen. Das vierte, aufgrund von Vaterschaft und kreativem Verschleiß ohne Grant Marshall und dem ausgestiegenen Andrew Vowles produzierte Album ist voll von jenen beeindruckend detailliert entworfenen Zeitlupen-Szenarien, die man hier erwartet, doch gibt es keinen wie auch immer gearteten Ausblick auf die, Achtung, Zukunft der Popmusik.

Stattdessen verfeinert Robert Del Naja die hier lang entwickelten Vorgehensweisen noch weiter als zuletzt mit „Mezzanine“ – im Rückblick ist auf den Platten von MA ja vieles mehr Idee denn vollendete Vbion, und Del Naja kommt seinem Ziel auf „lOOth Window“ deutlich näher. Das allerdings unter Preisgabe des gegenständlichen Lieds. Ob bei dem auf zwei dramatischen Gitarrenakkorden basierende „Future Proof“, dem kühl-hypnotischen „Everywhen“ oder dem cineastisch schwelgenden „Antistar“, stets kommt Atmosphäre vor Struktur und Sound vor kompositorischer Strenge.

Dass diese Skizzen nicht immer zu fertigen Bildern werden, wird man den Stimmen anlasten: Das ehrliche Gefühl der dreimal vertretenen Sinead O’Connor kontrastiert die ultimative Verschlossenheit von Del Najas Copy & Paste-Kunst eher unpassend, und auch Del Naja selbst bleibt unter den Möglichketen der instrumentalen Vorlagen. Lediglich Dauersänger Horace Andy findet seinen Platz in der 80s-giatten Nachtfahrt „Name Taken“ und dem erwähnten „Everywhen“. Was bleibt, ist fulminantes Klangdesign auf höchstem Niveau und die vorläufige Vollendung dessen, was da einst in Bristol entdeckt wurde.

Goldfrapp, bitte kommen.

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