Neil Young – Are You Passionate :: WEA
Den guten alten Freigeist Neil Young hatte der 11. September offenbar noch mehr bewegt als andere Menschen. Beim „Tribute To Heroes“, der Fernsehmesse zur Tragödie, spielte er zunächst allein „Imagine“ auf dem Klavier, um am Ende Eddie Vedder bei „Long Road“ an der Pump-Orgel zu begleiten. Der notorische Strohhut signalisierte Widerstandswillen, der Rest war Andacht, nicht Agonie. „Helpless“ wäre trotzdem angemessen gewesen. Dachten wir. Doch Onkel Neil hatte die Wehrhaftigkeit entdeckt und arbeitete bald an dem Song „Let’s Roll“, der von den letzten Minuten des United Airlines-Flugzeugs handelt, das bei Pittsburgh abstürzte. Hier gilt bis auf Weiteres die Geschichte von den tapferen Passagieren, die per Handy letzte Nachrichten an die Liebsten schickten, um sich dann in der Verzweiflung gegen die mörderischen Terroristen zu wenden. Deshalb bimmelt in Youngs Kriegserklärung am Anfang ein Mobiltelefon, dann rollt die Attacke gegen die Entführer im Gang und im Cockpit. „Let’s roll for freedom, let’s roll for justice“, barmt Young, „let’s roll for truth.“ Der Chor pflichtet ihm bei: „Let’s roll!“ Are you passionate? Die Frage ist eher, was einem angesichts des Todes zu tun bleibt Und ob es mit der Familie am Apparat leichter ist, zum Helden zu werden. Solche Fragen verhandelt Young natürlich nicht. Seine Slogans waren immer vieldeutig, sie klangen fast immer bedeutungsvoll. Ausgerechnet der große Widersprüchliche hat mal wieder seinen Standpunkt gefunden, und Der freiheitsliebende Neil Young kämpft jetzt mal gegen die Achse des Bösen tonträgerdas reicht ihm. Die Ambivalenz von „Rockin‘ In The Free World“ hat dieser kriegerische Hymnus nicht (von „Hey Hey My My“ zu schweigen) – es ist ein Song für Donald Rumsfeld und die Revanchisten. Die Wahrheit glaubte ja auch Mohammed Atta gepachtet zu haben. Das Album rundherum hat mit dem Rollkommando scheinbar nichts zu tun. Hier jammt jemand entspannt mit alten Freunden wie Booker T. und Donald „Duck“ Dünn, die man auch jederzeit in dem transparenten Sound erkennen kann. „Ybu’re My Girl“, „Don’t Say You Love Me“ und „Differently“ sind ebenso lässig wie redundant, die Gitarre tönt leicht und fern den Crazy Horse-Gewittern. Ein Alterswerk – lockerer, milder und, tja, poppiger als jedes von Youngs Frühwerken. Allerdings hat Young auch nicht viel zu sagen. Ging es bei „Silrer & Gold“ noch um die Wonnen des Alterns, Kontempüerens und Daheimbleibens, während in der Stadt die Lichter angehen, lamentiert Young diesmal über das Böse in der Welt. Sentimental wird es dabei unvermeidlich. In „Mr. Disappointment“, bei dem er die Stimme auf einen geraspelten Sprechgesang dimmt und die Gitarre jaulen lässt, flüstert Young: „Where has this feeling gone?“ Aber auch: „Let’s leave this all in the past.“ Das ausufernd gegniedelte „Going Home“, bestes Stück der Platte, kommt dem Crazy Horse-Sound noch am nächsten. Ist auch Crazy Horse. Okay, Young wollte diesmal mit Kumpels ein paar Songs spielen, und die brauchten leider ein paar Texte, und so kritzelte der Alte wieder die Platitüden auf einen Bierdeckel, die seine belanglosesten Arbeiten ausmachten. Bisweilen klingt er wie Nik Kershaw, die Gitarre spielt den Santana-Tbn. Und Carlos Santana ist nun wahrlich der Hippie-Antipode zu Young, der Woodstock-Abräumer und Spiritualisten-Darsteller, vor dem es den zornigen Nonkormisten grausen müsste. Aber hey, Young mochte auch mal Ronald Reagan. „Are You Passionate?“, „When I Hold You In My Arms“ („The older generation, they have something to say“) und „Be With You“ wirken nicht vollständig realisiert, das Schlagzeug poltert wie blöde. Im jämmerlichen „Two Old Friends“ klagt Young präsenil „O Lord, there’s so much hate“ und greint: „See no evil, fear no evil/ In my heart, my aching heart.“ „Are You Passionate?“ endet mit dem konfusen, hymnischenJam „She’s A Healer“ („Let the good times roll“), der auch Van Morrison auf seine alten Tage gefallen würde. Eine Trompete trätet in das ziellose Herumeiern, Young will mal wieder nicht aufhören, Versatzstücke aus den alten Liedern („When I play my guitar“) liefern den Kitt für Youngs Gitarrenspiel. Das Album ist lang, viel länger als in den guten alten Zeiten. Neil und seine Freunde hatten keine Eile. So jung kommen sie nicht mehr zusammen. Doch kann man diesem Archetypen überhaupt gram sein? Sogar ein mediokres, wenngleich irritierendes Album ist doch ein würdiger Vitalitätsbeweis. „Silver & Gold“ war so trivial, dass mancher Altkritiker schon gebannt der Ewigkeit ins Auge schauen wollte. Der noch viel ältere Neil sagte dem Hörer: Du bist vergänglich, denke immer daran. Nur die Liebe zählt Der Realismus ist natürlich nicht das Sujet des Mythologen. Dennoch sagt er jetzt: Lasst uns rollen für die Freiheit. Und er rollt mit George W. Bush. Und rollt und rollt. ARNE WILLANDER