Neil Young Chrome Dreams II
Mehrfach täglich haben wir aus dem Fenster geschaut, in der Hoffnung, dass Onkel Neil -so nennen wir ihn —auf seiner großen Fahrt mit dem Strom- und Biodiesel-betriebenen 58er Lincoln auch bei uns vorbeikommen und die Platte rechtzeitig abliefern würde. Leider kam er nicht.
Deshalb ist es jetzt zu spät, um noch einmal alles über die Musik hier zu sagen. Um noch mal die Geschichte vom ersten „Chrome Dreams“-Album abzurollen, das nie erschien und mit dem diese zweite Folge freilich gar nichts zu tun hat. Man könnte ein weiteres Mal das 18-minütige Groß-Gedicht „Ordinary People“ loben, zweifellos eines seiner besten Stücke aus den letzten 25 Jahren. Man könnte den Volkslied-Kitsch von „Beautiful Bluebird“ tadeln, die auf der Platte erstaunlich dominanten spirituellen Züge zeigen und sich ein letztes Mal überlegen, warum der überlangen Boxhandschuh-Gitarrenimprovisation „No Hidden Path“ die Magie der „Ragged Glory“-Sessions fehlt.
Aber, wie schon gesagt wurde, stellen wir uns lieber die viel interessantere Frage, wie Neil Young es eigentlich schafft, dass er trotz seiner naiv wirkenden Anti-Bush- und Pro-Öko-Politik, seiner Hippie-Zauseln und Beißreflexe nicht mal annähernd in die Reihe der als nervig verschrienen Rock’n’Roll-Gutmenschen geschoben wird. Warum sich seine Stimme einen so gewaltigen Rest an Glaubwürdigkeit bewahrt hat, die weit hinausgeht über die Selbststilisierung als Anpacker und Erntehelfer, dem die eigenen Millionen wurscht sind.
Vielleicht liegt es daran, dass Neil Young einer der ganz wenigen Bessere-Welt-Aktivisten ist, der es massiv riskiert, nicht verstanden zu werden. Dessen „Chrome Dreams JT‘-Platte eher so wirkt, als wolle er sein Publikum vergraulen, anstatt es rüber auf seine Seite zu ziehen.
Wenn man will, dass die Leute den Hintern hochkriegen, darf man ihnen nicht reinkriechen — so sieht er das wohl. Allein marketingtechnisch macht er ja sehenden Auges alles falsch, was man falsch machen kann. Und wenn Young ernsthaft das fast 20 Jahre alte, über 18 Minuten lange „Ordinary People“ als Single an die Radios schickt, dann ist das sowieso eher eine Kunstaktion als Promo.
Ein Meisterwerk wird dieses sehr okaye Album dadurch nicht. Den Verdacht, Young sei trotz seiner grün-liberalen Positionen im Herzen ein Reaktionär, wird „Chrome Dreams II“aber weiter zerstreuen, obwohl man genau hinhören muss: Wenn am Ende von „Ordinary People“ der alte Bahnwaggon saubergewienert und hochsymbolisch zurück auf die Schiene gehoben wird, ist das einer der am schwersten erarbeiteten Rückfälle in die selige Vergangenheit, die man sich vorstellen kann. Young lässt sich seine Haltung etwas kosten, und wenn er zum nostalgisch Verklärten und gar Christlichen tendiert, dann nur deshalb, weil es für die Utopien, um die es ihm geht, noch kein anderes Vokabular gibt.
Dazu gehört, dass er das Altsein so offensiv umarmt wie kein anderer Rock’n’Roller. Die Fotos im CD-Booklet feiern das graue Haar und die Bindegewebsschwäche, und wenn das letzte, sehr gute Stück „The Way“ mit dem Kinderchor zu Ende geht, wartet man förmlich auf den Applaus und den Vorhang beim Seniorennachmittag. Und dann Apfelkuchen.