Neil Young – Live AtMassey Hall 1971 :: Fulminanter Konzert-Mitschnitt samt Super-8-Film auf DVD
Er wollte immer so gern Filme drehen, und schon „After The Gold Ruth“ war 1970 als Musik für einen Film des Schauspielers Dean Stockwell gedacht. Nun sieht man auf der DVD den Super-8-Film von Neil Youngs Auftritt in der Massey Hall von Toronto, verwaschen und grobkörnig. Dazwischen geschnitten ist aber immer wieder ein Tonbandgerät mit zwei Spulen auf einem Stuhl, der auf derselben Bühne steht. Während Young singt, sieht man Young nicht. Manchmal illustrieren auch Aufnahmen von Ausfahrten und von Youngs Ranch die Musik, man sieht jenen alten Mann, der in dem Lied besungen wird, man sieht Young und Freunde lachen und trinken, man sieht die weite Landschaft. Gleich zweimal erzählt er zwischen den Liedern, diese Songs habe er über seine Ranch geschrieben. Und im Digipak ist eine Besprechung des Abends abgedruckt, in der von seinem „canadianism“ die Rede ist und außerdem davon, dass Songschreiben nicht sein stärkstes Talent sei – sondern die warme, hohe Stimme.
Für sich selbst genommen und in der Zeit betrachtet, mag das angehen. In der Rückschau freilich hat sich die Wahrneh‘ mung ein wenig verschoben. In dem Text heißt es auch, Youngs Aufstieg innerhalb kurzer Zeit sei fast unbemerkt geschehen außer von einer Million junger Leute. Heute ist Neil Young der Patron der älteren Leute, weil er ja immer schon da war. Von Elvis übernahm er den Musiker und Produzenten David Briggs, der auch an dieser Produktion beteiligt war. Von Dylan und den Stones übernahm er die Musik. Von seinem Vater die schlichten aphoristischen Formulierungen, die hier in „Helpless“, „Tell Me Why?“, „The Needle & The Damage Done“ leuchten. Viele seiner berühmtesten Songs hatte er damals bereits geschrieben, auch die Abneigung gegen Fotos war nicht anders als später, und die Ansagen gerieten ungelenk und schrullig, wie man sie noch heute von ihm schätzt.
Das Massey-Hall-Konzertist so bedeutend, weil Young hier allein spielte, an akustischer Gitarre und Klavier. Sogar „Cowgirl In The Sand“ und „Down By The River“ bringt er ohne den legendären Gitarrendonner, den man so oft auf Live-Platten und im Konzert hörte. „See The Sky About To Rain“ erschien erst auf „On The Beach“, drei Jahre später, „A Man Needs A Maid“ wurde für „Harnest“mit Orchester aufgerüscht, nicht zum Vorteil des Stückes. „Journey Through The Past“, „Love In Mind“, „There’s A World“ sind „After The Gold Rush“ verwandt und wurden vielleicht deshalb von Young selten vorgetragen. Hier fällt immerzu der Regen, die Jahreszeiten wechseln, Vögel ziehen am Himmel ihre Bahn, das Herz ist schwer, ein neues Heim wird gefunden, die Liebste schürt das Feuer, damit es nicht so klamm und unwirtlich ist, und der Geist irrt einsam und suchend umher.
Neil Young hat die Pastorale und den Western in die Rockmusik übertragen, sein Sentiment und seine frühe Melancholie sprechen zu dem Kanadier in uns. Die Ästhetik von „Massey Ha!!“ist so zerschossen und fragmentarisch wie bei „Rufit Never Sleeps“ und „Weld“: ein Mann im Kampf gegen die Naturgewalten und die eigenen Dämonen. Der Nonkonformist macht sich lustig über einen Auftritt in der Fernseh-Show von Johnny Cash: Erst war er eingeladen, dann wieder ausgeladen worden, schließlich spielte er doch (zu sehen auf der DVD von „Heart Of Gold“). Young scherzt über Cashs alte Begleitgruppe, die Tennessee Three. Damals war Cash zwar auf der Höhe seines Erfolgs, aber schon eine gestrige Figur des Establishment, ein Mann mit einer Fernsehsendung. Young hasste das Medium naturgemäß.
„Live At Mosley Hall 1971“ ist ein großartiges Dokument der frühen Young-Kunst. Hier handelt es sich übrigens um den dritten Teil der „7V[ei! Young Performance Archwes“. Und noch in diesem Jahr, so verrät es jedenfalls ein dem Album beigelegter Zettel, soll schließlich und unwiderruflich der Heilige Gral der Rockmusik geborgen werden: das „Archiues“-Projekt mit unveröffentlichtem und Live- und Film-Material. Es werden wohl noch einmal acht CDs und zwei DVDs. Ziehen Sie sich warm an.