Neil Young – Living With War
Neil Young will immer nur das Beste. Das Beste für die USA. Er sei Patriot, sagt er. Vor allem ist er natürlich Kanadier. Aber das Amerika, von dem er in seinen Songs singt, hat auch wenig gemein mit den Vereinigten Staaten, wie wir sie kennen, den Pilgervätern, dem Bürgerkrieg, den Konzernen und dem Imperialismus. Neil Youngs Amerika ist das der Farmer und Indianer, der Communities und Familien, der Büffel, der unendlichen weite, der Modelleisenbahnen, der Freiheit und der Liebe. Es ist das Amerika aus „America The Beautiful“. nicht das kriegerische, heldenhafte aus „The Star-Spangled Banner“. Und dieses paradiesische Amerika muss verteidigt werden – gegen äußere Feinde, aber auch gegen innere Gefahren. Genau das hat er in „Let’s Roll“ gesungen, und nichts anderes hat er 1985 gesagt, als er Reagans Rüstungspolitik befürwortete. Natürlich ist Neil Young naiv. „Peace and love/ Lennon’s goodbye/ Over Now/ living in time/ A broken bell/ A nursery rhyme/ Deserted by heroes/ Strangers in your own land“. hieß es auf „Mirror Ball“, und diese Zeilen treffen direkt ins Herz von „Living With War“.
Neil Young hat erkannt: George W. Bush ist nicht gut für Amerika. Da ist er natürlich nicht der Erste, aber es ist nie zu spät, das zu erkennen. Innerhalb einer Woche hat er „Living With War“geschrieben und aufgenommen und wenige Tage später im Internet veröffentlicht.
„Won’t need no shadow man/ Runnin‘ the government/ Won’t need no stinkin‘ war.“ Die Gitarre klingt wie eine verzerrte Friedensglocke, die Stimme überschlägt sich fast, und man kommt aus dem Staunen nicht mehr raus. Das ist nicht der onkelhafte Neil Young von „Prairie Wind“, eher der archaische von „Tonight’s The Night“ und „Rust Never Sleeps“. „Living With War“ ist laut und wütend – und zugleich zutiefst sentimental. Ein 100-köpfiger Chor, der sein Amerika repräsentiert, begleitet Neil Young bei allen Songs, und der beherrscht die Crazy Horse-Uuuh-uuuuhs genauso gut wie den Kindergesang aus John und Yokos „Happy Xmas (War Is Over)“.
Für einige Lieder hat Neil Young sein friedliches, mystisches Amerika verlassen und auf den Zustand der USA geschaut, zetert gegen den Kriegstreiber Bush, schaut auf die „days of ‚mission accomplished'“, macht sich den Demokraten-Schlachtruf „Let’s Impeach The President“ zu eigen, schlüpft in die Rolle der Familie, deren jüngster Sohn in den Krieg zieht. „Restless Consumer“ ist „This Note’s For You“ in gut. „Flags Of Freedom“ klingt wie eine Mischung aus „Powderfinger“ und Dylans „Chimes Of Freedom“: „Listening to Bob Dylan singin’/ In 1963/ Watchin‘ the flags of freedom flyin'“. Es sind die einfachsten Melodien, die simpelsten Bilder, die Neil Young wählte – und doch ist „Living With War“ das Gegenteil von banal, es ist sein berührendstes Album seit „Sleeps With Angels“. Lassen Sie sich nicht von irgendwelchen Zynikern etwas anderes erzählen.
Am Ende zuckelt Neil Young über den alten „Hippie Highway“, der ihn einst in die kriegerische Welt geführt hatte, zurück nach Hause und singt mit seinen Freunden, Nachbarn und Verwandten seine Hymne – „America The Beautiful“.