Nixon von Oliver Stone
ab 22. Februar Als der Soldat Oliver Stone aus Vietnam zurückkehrte, hatte er alle Illusionen verloren. Nicht allein der Krieg, die Massaker und das Angesicht des Todes raubten seine Ideale. Er war ausgezogen, um das Fürchten zu lernen, und nun fürchtete er Amerika. Den Feind sah er in der Heimat, aber der war unsichtbar wie der Vietcong im Dschungel. Diesen Komplex hat der Elite-Student und -Soldat Stone mit vielen Ex-GIs gemeinsam. Wie Scorseses „Taxi Driver“ kurvte er ziellos in New York umher. Doch statt ein Attentat mit der 45er Magnum zu planen, malte er sein Zimmer vom Boden bis zur Decke rot Popkultur-Philosoph Peter Sloterdijk befragte Stone zu „Natural Born Killers“, ob „Wahnsinn über Wahnsinn siegen“ könne? Der antwortete mit der Gegenfrage: „Kann Liebe den Dämon besiegen?“‚Stone bekämpft äußere Dämonen, um seinen inneren Dämon zu besänftigen. Er sieht Amerika voller Verschwörungen, Sabotage, Korruption und Manipulation und wurde beim Kreuzzug für seine Wahrheit selbst ein Manipulator. Das wiederum hat Oliver Stone mit Richard Milhous Nixon gemeinsam, Stone ist der Bluthund der amerikanischen Traumata. Ruhelos, renitent und mit Lust am Risiko spürt er jede Wunde auf, an der die Seele der Nation krankt – und so sehen auch seine Filme aus. Gehaltvoll und gewaltig, gefüllt mit Theorien, Teufeleien und Todeskämpfen, Spezialeffekten, sakralen Selbstzerstörungen und Szenarien der Skrupellosigkeit. Stone kennt kein anderes Sujet und nur eine Methode. Er klaubt zusammen, kontrastiert, kocht es auf. Und doch brodelt alles nur an der Oberfache. Da fast alle Filme seine Erinnerungen und Empfindungen berühren, gerieten seine Anklagen immer mehr zu Apotheosen von Amerika, Gottes eigenes Land des gescheiterLEINWAND NEU IM KINOten, aber guten Menschen. Am Ende steht die Erlösung, zumindest ein Denkmal klassischer Tragik. Er gilt Patrioten trotzdem als linker Spinner und Strippenzieher, da sie furchten, seine Bilder könnten das bisherige Bild der Nation löschen – so oder so. In den Widersprüchen ist Stone identisch mit jener Gesellschaft, die er immer bekämpft hat. In „Nixon“ deutet Stone erstmals seinen Frieden mit einem Hauptakteur seiner Gegner an. Das dreistündige Opus hat er seinem verstorbenen Vater gewidmet, einem erzkonservativen Republikaner und durch seine Scheidung ruinierten Börsenmakler. Ein Streber, Aufsteiger, Gestrauchelter – und in diesem Kontext spiegelt Stone auch Nixon wider. Das ist mehr Mitgefühl und psychologische Tiefen-Forschung für einen Mann, der Kambodscha bombardieren, auf demonstrierende Studenten schießen und aus Paranoia vor einem Umsturz sogar Vertraute abhören ließ, als eh zu erwarten war. Trotzdem kam es schon vor der Premiere zum Eklat. Nixon, der als einziger Präsident in der US-Geschichte unter Strafandrohung zurücktreten mußte, hat sich mit Büchern das vorher versagte Renommee eines elder statesntan erschrieben. In amerikanischen Zeitungen werden heute vor allem die außenpolitischen Erfolge des Kommunistenhassers in China und der Sowjetunion betont. Seine Frau befürchtet nun, Stone begehe einen „Charaktermord“. Es sind Kleinigkeiten wie das Whisky-Glas, das Nixon ständig in der Hand hält, und der nicht verbürgte Ehestreit; aber auch weitere heikle Thesen von Stone über die Verschwörung staatlicher Gewalt. Als Vize unter Eisenhower habe Nixon an einem Attentat auf Kubas Fidel Castro gearbeitet. Der Plan wurde verworfen, das damit befaßte Team aber, so kombiniert Stone, könne am Mord an Kennedy beteiligt gewesen sein. Bereits in ,JFK“ streute er diesen Verdacht. Nun suggeriert Stone ein Treffen texanischer Öl-Tycoons, darunter Larry Hagman als Pointe, mit Nixon in Dallas – kurz vor der Ankunft Kennedys im November 1963. „Nixon“ beginnt mit einer verregneten Nacht. Das Weiße Haus wirkt finster und kalt wie ein Gruselschloß von Poe. Anthony Hopkins hockt als Nixon im Lincoln-Room, einer klaustrophobischen Kammer, in der Kaminfeuer und Klima-Anlage gleichzeitig an sind. Er ist betrunken, hört die eigenen, nun ihn belastenden Tonbänder ab, flüstert: „Tote ebneten mir den Weg.“ Sein Traum vom Weißen Haus, das ihm lange von Kennedy verstellt wurde, war ihm bereits zum Trauma geworden. Stone zielt nicht auf Nixons kriminelle Energie. Er zeigt Nixon als kranken Mann, ein Opfer der Umstände. Nixon studierte erst, als sein älterer Bruder starb, so wie er erst nach dem Tod Kennedys Präsident wurde. In kargen Bildern blickt der Film zurück, biographische Stationen rasen vorüber, ständig holen die Bilder Nixon ein. Stone verknüpft Videound 16-mm-Aufhahmen, Fernseh-Fetzen und Dokumentationen, und per Computer schneidet er Hopkins in das originale TV-Duell mit Kennedy. Nicht seine Ästhetik polarisiert, sondern die daraus wachsende Ethik. Vbm reaktionären Demagogen ist hier wenig zu sehen. Hopkins sieht Nixon nicht ähnlich, aber er kehrt einen Charakter hervor, der fasziniert und abstößt, den wohl niemals jemand verstehen wird. Ein Totengräber ohne Eleganz und Eloquenz, der seine Arme verschränkt, gebeugt schlurft und stets schwitzt, gequält lacht und fragt, warum die Studenten ihn hassen. Stone filmt Hopkins schief von oben, und er ist umgeben von Hofschranzen oder von dekadenten, feisten Unsympathen wie dem FBI-Fürsten Hoover (Bob Hoskins). Bei seinem Rücktritt giftet er zu der Presse: „Nun habt ihr keinen Nixon mehr, den ihr treten könnt“ Am Ende blickt er zum Gemälde von Kennedy auf:“In dir sehen sie, wie sie sein wollen; in mir, wie sie sind.“ Stone wird wohl für den Oscar nominiert Und irgendwann fürs Präsidenten-Amt? Oliver Hüttmann