Patti Smith – Gone Again

Fast schien es, als wollte Patti Smith es ihrem großen Idol Arthur Rimbaud gleichtun. In jungen Jahren sämtliche künstlerischen Ressourcen aufzuarbeiten, sich schöpferisch bis an den Rand des Wahnsinns zu bringen, um dann sang- und klanglos auszusteigen und sich einem völlig anderen, bürgerlichen Leben zu widmen. Natürlich war Patti Smith wesentlich älter als Rimbaud, als sie mit ihrer Kunst an die Öffentlichkeit trat Aus der Poetry-Performerin des New Yorker Underground wurde die Galionsfigur eines neuen avantgardistischen Rock’n‘ Roll-Verständnisses. Noch heute ist ihr Einfluß auf die folgenden Musikgenerationen unbestritten, wäre die Entwicklung eines weiblichen Bewußtseins im Rock-Kontext ohne ihre Erscheinung kaum vorstellbar.

Die Person Patti Smith und die vier Alben aus den Jahren 1975 bis 79 bedeuteten die kompromißlose Eroberung der männlichen Befreiungs-Domäne „Rock“ nach eigenen emotionalen Maßstäben. Seit 1980 lebte Patti Smith zurückgezogen mit ihrem Mann Fred Sonic Smith (Gitarrist der nicht minder legendären MC5) und inzwischen zwei Kindern in Detroit Das gemeinsame Album „Dream Of Life:“ 1988 galt als neues Lebenszeichen einer nicht versiegenden musikalischen Leidenschaft, und vereinzelte Beiträge zu diversen Soundtracks (Wim Wenders‘ „Bis ans Ende der Welt“, Tim Robbins‘ „Dead Man Walking“) folgten. Der überraschende Tod von Fred Smith im November 1994 brachte alle weiteren gemeinsamen Projekte zum Stillstand.

Doch Patti Smith hat ihre künstlerischen Ambitionen nie ganz aufgegeben, und es ist, als gäbe es für sie jetzt einen Grund, wieder aktiv auf der Bildfläche zu erscheinen. Gemeinsam mit den alten Weggefährten Lenny Kaye und Jay Dee Daugherty und einigen markanten Musikerfreunden (Tom Verlaine, John Cale, Jeff Buddey) entstand „Gone Again“, zutiefst elegisch und facettenreich. Das Album als Ganzes ist reine Trauerarbeit, spürbar in jedem Ton ihrer Stimme, in jeder gesprochenen, geseufzten, gesungenen Silbe. Der Tod und die Sterblichkeit zieht sich wie ein Grundtenor durch die Songs, die fern allen Weltschmerzes oder düsterer Dramaturgie, voll von positiver Energie sind.

Insofern ist sich Patti Smith treu geblieben, die Melodien laufen über die Grenzen hinaus, die Musik verläßt das gesteckte Songkonzept und wird zur Intuition, Improvisation, Interpretation von oftmals irritierendem Ausmaß. „About A Boy“ verliert sich, ähnlich ihrem frühen Epos „Birdland“, in übergreifenden Wellen, wobei sich die Gitarren angenehm zurückgemischt austoben. „My Madrigal“, von klassischen Piano- und Streicherakzenten bestimmt, trägt die schreitende Mystik von „Easter Sunday“ und „Summer Cannibals“, bekennt sich zur Gewalt und Kraft eines „Rock ’n‘ Roll Nigger“, den Patti Smith, wenn auch in gemildeter Form, noch immer im Blut hat. „Dead To The World“, als Country-infizierte Ballade in der Zwischenwelt von Träumen und Erwachen, weiß mit effektvoller Steelguitar und Mandoline zu betören. Auch hier kennt die Sehnsucht zwei Seiten, den schmerzhaften Verlust und die spürbare Hoffnung. Mehr noch „Wings“: als ergreifendes, dunkel-emotionales Beschwörungsritual. Wenig Bitterkeit und Enttäuschung, sondern tiefe Verletzlichkeit und innere Stärke geben diesen epischen Songs die Substanz. Glücklicherweise haben auch die beteiligten Musiker das begriffen und musikalisch den entsprechend feinfühligen Rahmen geschaffen. In „Fireflies“ gipfelt diese Zusammenarbeit im wohl schönsten Stück auf diesem Album, die schrittweise Annäherung einer Lebenden an die Seele des Toten. So wie die Grenzen zwischen Imagination, Traum und Realität überschritten werden, so vermischen sich Gesangs-Parts zu einem magischen Dialog.

Wenn Patti Smith nach fast 20 Jahren mit einem Album voller tiefgreifender poetischer Zustände überzeugen kann, so ist es kaum der zwanghafte Versuch eines Comeback im Stile guter alter Zeiten, sondern die Folge einer eigenen Vision. Auch darin und in der Gelassenheit und Wärme, mit der sie uns das mitteilt, liegt ihre Botschaft.

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