Paul McCartney – Chaos And Creation In The Backyard

Paul McCartney wollte es noch mal wissen. Fiel dieser Satz nicht schon zum letzten Album „Driving Rain“, als er sich – die Haut gestrafft mit jungen Musikern umgab und selbst einen so knabenhaften Elan versprühte, daß er sich nur noch ungern von Journalisten jenseits der 30 interviewen ließ? Oder fing das Noch-mal-wissen-wollen schon Ende der 80er an, als er sich Elvis Costello als Ersatz-John für „Flowers In The Dirt“ holte? Ja zischte nicht Lennon, als er „Coming Up“ im Radio hörte, beeindruckt zu seinem Adlatus Frederic Seaman: „Der Paul will es noch mal wissen.“ Das ist nun 25 Jahre her. Schon wieder so ein Beatles-Jubiläum.

Paul McCartney wollte es noch mal wissen und fragte George Martin, den vermutlich einzigen Menschen auf dieser Welt, der jemals den Mumm hatte, ihn musikalisch herauszufordern, um Rat. Der mittlerweile fast taube Martin beriet mit seinem Sohn, der meinte, Nigel Godrich könnte dem guten Paul als Produzent Beine machen.

Es hätte schlimmer kommen können. Ist es ja auch schon. Damals, 1997, nach den Arbeiten an der „Beatles Anthology“, hatte Paul McCartney es nochmal richtig wissen wollen und Jeff Lynne engagiert. Die Ergebnisse, nachzuhören auf „Flaming Pie“, waren dann überraschenderweise ganz manierlich.

Musikalisch ist Godrich verglichen mit Martin – natürlich ein Fliegengewicht. Aber eine Herausforderung war er trotzdem. „We had some awkward moments“, umschrieb Mc-Cartney die Zusammenarbeit. Erst schickte Godrich die Mucker von McCartneys Tourband nach Hause, dann mußte Paul selbst zurück in die Klause und noch mal an seinen Songs feilen. Als er zurück ins Studio kam, war er dann gezwungen, (fast) alle Instrumente selbst zu spielen. Trotzdem wurde „Chaos And Creation In The Backyard“ keins dieser verspielten Solowerke, wie McCartney sie im Selbstversuch 1970 und 1980 aufnahm, denn Godrich ist ein Fan des durchgestylten Mixes und entwirft Soundscapes, in die er dann die Musiker und ihre Songs so lange einsperrt, bis das Album fertig ist. Zuletzt in Reinform zu hören auf Becks „Sea Change“.

„Chaos And Creation In The Backyard“ funktioniert ähnlich. Natürlich ist Becks milder Serge-Gainsbourg-Funk nirgendwo zu finden, aber hier regiert eine ähnlich schleichende Opulenz aus wattierten Gitarren, perlendem Klavier, warmen Streichern, hohen Glocken, Flöten, Harfen – und „Revolver“-Harmonien. Eine raffinierte Mischung aus Atmosphärik und McCartneys sublimen Melodien. Es liegt eine melancholische, ja fast grüblerische Stimmung über dieser Platte. Ungewohnte Selbstzweifel mischen sich in die Songs. „Sometimes I’d rather run and hide/ Than face the fear inside“, singt er in dem unheimlichen „At The Mercy“ (oder singt er doch „Mersey“?). ,And now you don’t need my help/ I’ll use the time to think about myself“ heißt es in „Vanity Fair“, einem brodelnden, fast radioheadesken Stück, dann weiter: „There was a time when every day was young/ The sun would always shine/ We sang along when all the songs were sung/ Believing every line.“ Und die Stimme läßt keinen Zweifel daran – diese Zeit ist lang vergangen.

Für jemanden, der zugibt, in den letzten Jahrzehnten häufig nur aus Langeweile Musik gemacht zu haben, sind diese Songs lyrisch wie musikalisch äußerst pointiert. Keinerlei Schlampig- oder Peinlichkeiten. Alles durchkomponiert und -arrangiert. Vom lässigen Eröffnungsstück mit Abba-Klavier, „Fine Line“, bis zum Postrock des Hidden track. Die akustische Ballade „Jenny Wren“ etwa, einer der schönsten Post-Beatles-Songs überhaupt, den McCartney als „daughter of ,Blackbird'“ beschrieb. Auf „Flaming Pie“ hätte er diesen Selbstläufer vermutlich in fünf Minuten abgehakt, hier zwingt Godrich ihn zu Verzierungen und Arabesken, harmoniert McCartney auf der Klarinette mit seiner eigenen Stimme, legt eine weitere Gitarre darüber. Oder „English Tea“, ein Schwippschwager von „For No One“, der sich über vertrackte Streicher und Flöten bewegt – es ist fast wieder so schön wie damals bei George Martin.

Das wirklich Überraschende an „Chaos And Creation In The Backyard“ ist gar nicht unbedingt, daß McCartney noch einmal ein von vorne bis hinten überzeugendes Album gemacht hat, sondern die Einsicht, daß auch ein Beatle tatsächlich altern kann. McCartney offenbart sich hier als zweifelnder, fast weiser Mann jenseits der 60, für den der Tod mittlerweile genauso zum Leben gehört wie die neugefundene Liebe. Ein so ehrliches und berührendes Werk haben nur wenige Musiker seines Alters – Bob Dylan mit „Time Out Of Mind“ und Randy Newman mit „Bad Love“ fallen einem ein – fertiggebracht. „Will you still need me, will you still feed me when I’m 64?“ Ganz sicher.

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