Paul McCartney – Live in Köln :: Paul McCartney
Beim einzigen Deutschland-Konzert in diesem Jahr führt Mc Cartney fast drei Stunden durch seinen einzigartigen Katalog.
Köln, Lanxess Arena
Stünde da oben nicht Paul McCartney, man müsste denken, der Mann sei verwirrt. Nach jedem Lied schaut er in die anonyme Masse der 15.000 Besucher und tut so, als erkenne er hier einen guten Bekannten oder dort ein besonders charmantes Gesicht. Er senkt den Kopf, hebt die Augen und die Hand zum Gruße. Man kennt Männer mit solchen Verhaltensweisen aus Parks in Großstädten, dort reden sie zu Bäumen.
Ob auch McCartney diese Gesten im Privatwald seines Anwesens in Sussex einstudiert hat? Sicher ist nur: Der Bühnenmensch Paul McCartney ist trotz dieser Schrulle, die in riesigen Arenen Intimität vorgaukeln soll, unangreifbar. Fast drei Stunden steht er bei seinem einzigen Deutschlandkonzert in diesem Jahr auf der Bühne, und so genau man ihn auch observiert: Es gibt nicht einen einzigen Bruch. Vom ersten bis zum 35. Song ist McCartney gut gelaunt, souverän und immer eine Spur ironisch. Wird es romantisch, lächelt er verschmitzt. Spielt die Band Rock’n’Roll, tänzelt er elegant. Als wolle er sagen: Macht euch mal locker, ist nur Pop.
Bis diese Botschaft beim Publikum wirkt, vergehen jedoch ein paar Minuten, denn zunächst verhalten sich viele, als sei das hier eine Gala und McCartney erhalte den Preis fürs Lebenswerk. Die Leute haben sich von den Fernsehfritzen abgeschaut, wie man zur Verleihung des Ehren-Bambis möglichst ehrfürchtig applaudiert. Das wirkt dann sehr seltsam: McCartney steigt mit dem kindlichen Schunkler „Hello, Goodbye“ ein – und die meisten unter den 15.000 wagen sich vor lauter Demut gar nicht zu bewegen.
Nicht einmal der Beatles-Oldie „All My Loving“ wirkt befreiend, wobei das auch an der Band liegt: McCartney ist seit zehn Jahren mit den gleichen Leuten unterwegs, dem mächtigen Abe Laboriel Jr. am Schlagzeug, der exzellent spielt, aber aufhören sollte, Ringo Starrs Kauzigkeit zu kopieren, Keyboarder Paul Wickens sowie den L.A.-Profis Rusty Anderson und Brian Ray an den Gitarren, die mit ihren Botox- und Nose-Job-geprägten Gesichtern an Siegfried & Roy erinnern. Die Band spielt gut, das Zusammenspiel ist perfekt, aber den knackigen Sixties-Beat kriegen sie nicht hin.
Kein Wunder, dass schließlich ein Wings-Song die Arena locker macht: Der Glam-Piano-Pop von „Nineteen Hundered And Eighty-Five“ lässt jeden Scissor-Sisters-Hit blass aussehen, endlich endet die Andacht und beginnt die Sause. McCartney holte das Stück erst 2010 in sein Live-Programm, eine gute Entscheidung. Und auch die anderen Songs aus „Band On The Run“ sind Gewinner: Der pure Powerpop von „Jet“, das muntere Mitmach-Lied „Mrs. Vandebilt“, das Lennon-hafte „Let Me Roll It“ und natürlich der dreiteilige Titeltrack, der der „On The Run“-Tour ihren Namen gibt – von keiner anderen Platte spielt McCartney an diesem Abend so viele Stücke.
Jetzt läuft’s: McCartney liest deutsche Ansagen vom Blatt, bestellt „zwei Frikadellen“, grüßt Klaus Voormann, spielt sich frisch und frei durch sein Lebenswerk und wechselt munter die Instrumente: vom Höfner-Bass an eine kunterbunte krachende Hippie-Gitarre, vom Piano, an dem er „The Long And Winding Road“ und „Maybe I’m Amazed“ zelebriert, an die Ukulele, um mit „Something“ George Harrison Tribut zu zollen. „Blackbird“ spielt er alleine auf der Akustikgitarre, es ist bezaubernd.
Bei „Eleanor Rigby“ gesellt sich der Keyboarder dazu und kredenzt die Streicher von der Festplatte. Das klingt furchtbar unecht und wird später bei „Yesterday“ unerträglich. Vorschlag: Das Bühnenfeuerwerk zu „Live And Let Die“ einsparen und beim nächsten Mal ein Streicherquartett mitnehmen. Ist schließlich ein Konzert und nicht „Holiday On Ice“.
Kurz vor den Zugaben ist Gassenhauer-Zeit: „Back In The U.S.S.R.“, „Let It Be“, „Hey Jude“ – keine Atempause, Geschichte erwacht. „A Day In The Life“, den größten aller Beat-les-Songs, unterbricht McCartney vor der zweiten Strophe und wechselt in „Give Peace A Chance“. Man will sich gerade darüber echauffieren, da fällt der Blick auf ein junges Mädchen mit schwarzen Locken, das sehr laut mitsingt und ein Schild in die Luft hält: „Love from Israel“. Einmal schlucken statt schimpfen und die letzten Worte vom Schlussakkord „The End“ nach Hause tragen: „And in the end/ The love you take/ Is equal to the love you make.“ Draußen ist man dann gemeinsam dankbar, diese Songs live erlebt zu haben.