Paul McCartney – McCartney II
Zwei befreiende Solo-Alben aus den Jahren 1970 und 1980
Zwei Mal beendete Paul McCartney eine Band, indem er ganz auf sich gestellt ein Soloalbum aufnahm. Mit „McCartney“ waren die Beatles 1970 offiziell Geschichte, „McCartney II“ war zehn Jahre später das Ende der Wings. Beide Alben klingen auch heute noch wie eine Befreiung, eine Emanzipation.
Es ist schon erstaunlich, wie zerschossen das erste Solowerk des Perfektionisten klingt, der seinen Bandkollegen am Ende immer ganz genau erklärt hatte, was zu spielen war oder im besten Fall gleich alles selbst spielte. McCartney besorgte sich eine Vierspurmaschine, stöpselte Mikrofone und Instrumente direkt hinein, was den Tracks einen sehr rauen, direkten Sound gab. Macca zelebrierte mit diesem Vorläufer des homerecording die Einfachheit, die er für das Beatles-Album „Get Back“ vor Augen hatte, das Phil Spector dann in das verschmockte „Let It Be“ verwandelte. Stücke wie „Valentine Day“, „Oo You“ oder „Momma Miss America“ improvisierte er spontan, wie er es Jahrzehnte später auf den Platten seines Projekts The Fireman tat. Das simple, anrührende „Teddy Boy“ und das in seiner Beiläufigkeit genialische „Junk“ hatte er schon mit den Beatles ausprobiert, „Hot As Sun“ stammt sogar noch aus Quarrymen-Zeiten. Die besten Songs – das lässige „Every Night“ und das Meisterstück „Maybe I’m Amazed“ – schrieb er für seine Frau Linda.
Die Neuauflage von „McCartney“ klingt um einiges klarer als die erste remasterte Fassung von 1993, die knapp 25-minütige Bonus-CD ist allerdings eine kleine Mogelpackung. Nur zwei unveröffentlichte Stücke scheinen von den Aufnahmen übrig: das erstmalig vollständig zu hörende „Suicide“, das McCartney für Frank Sinatra geschrieben haben soll, und der nach Herrenumkleide müffelnde humorige Blick auf den Feminismus jener Jahre, „Women Kind“. Dazu gibt’s eine Instrumental-Version von „Oo You“, gleich zwei Live-Aufnahmen von „Maybe I’m Amazed“ – eine aus dem TV-Special „One Hand Clapping“ und eine aus Glasgow von 1979, dazu „Every Night“ und „Hot As Sun“ aus demselben Konzert.
Die zusätzlichen Stücke auf „McCartney II“ sind da um einiges spannender. Schon auf den elektronischen New-Wave-Experimenten des Albums wie „Temporary Secretary“ und „Darkroom“ und der Talking-Heads-Überflügelung „Coming Up“ scheint McCartney seiner Zeit voraus, doch Bonus-Tracks wie der von Richard Niles orchestrierte Chill Wave „Blue Sway“, das irre „Check My Machine“, das Ambient-Stück „Secret Friend“ und das, nun ja, Yoko-Ono-artige „Mr. * Atom“ im Chor mit Linda sind noch abenteuerlicher. Kaum vorstellbar, dass diese Tracks vom gleichen Künstler stammen wie der ebenfalls enthaltene banale Singlehit „Wonderful Christmas Time“. Leider knüpfte McCartney aber in den Folgejahren genau dort wieder an. Zwei Jahre nach „McCartney II“ erreichte er die Spitze der Charts mit „Ebony And Ivory“. (Concord/Universal) Maik Brüggemeyer