Pentangle – The Time Has Come 1967-73
Dies britische Quintett als eine Supergroup zu bezeichnen, wie das hier echt zu lesen ist, kommt dann doch einer missbräuchlichen Verwendung dieses Begriffs sehr nahe. Die Tatsache, dass sich zwei in der Szene recht renommierte Gitarristen (Bert Jansch und John Renbourn) mit einer respektierten Sängerin aus derselben und der Rhythmusgruppe von Alexis Korner’s Blues Incorporated zusammentaten, um ihre eigen(willig)e Mischung aus Folk, Blues und zwischendurch Jazz auszuprobieren, bedeutete nun wirklich nicht, dass man es mit einem popmusikalischen oder kommerziellen Phänomen wie Cream oder vergleichbaren Bands der späteren 60er Jahre zu tun gehabt hätte. Einige der Musikanten betrachteten das zudem als so lockeres Unternehmen, dass sie nebenbei weiter Solo-Platten veröffentlichten.
Tatsächlich schaffte es die dritte Pentangle-LP in die Top 5 der englischen Hitparade. Aber das war’s dann auch. Egal, was sie versuchten: Weder in Amerika noch auf dem Kontinent sollten sie annähernd für eine Weile ähnlich erfolgreich sein. Was vielleicht auch ein wenig damit zu tun hat, dass ihre Variante des – sagen wir mal – Folk-Rock zum einen ausgesprochen traditionell orientiert und zum anderen – soweit man das von Musik überhaupt sagen kann – manchmal auch ein wenig kopflastig war. Von einem jungen Amerikaner produziert, griffen die Kollegen von Fairport Convention sofort begeistert auf Liedgut neuer amerikanischer Songwriter zurück (Joni Mitchell und Emmitt Rhodes, Tim Buckley und Leonard Cohen, Bob Dylan und im Fall von „One Sure Thing“ oder“If I Had A Ribbon Bow“ auch auf Vorlagen weniger bekannter Schreiber), um die – nicht anders als ein Traditional wie „A Sailor’s Life“ – in ganz hochkarätigen eigenen Interpretationen aufzunehmen. Dawaren Pentangle musikalisch ziemlich anders orientiert, was amerikanische Idole (Staple Singers, Charles Mingus) angeht. Richard Thompson sympathisierte mit Chuck Berry und dem ganzen Rock’n‘ Roll, um es darüber hinaus bald zu ganz eigener Virtuosität als Gitarrist zu bringen. Jansch und Renbourn waren von den Vorvätern (letzterer erklärtermaßen von Big Bill Broonzy) weit maßgeblicher beeinflusst. Aber Danny Thompson konnte zumal Jansch doch dazu animieren, im Pentangle-Projekt um einiges jazziger zu brillieren als bei seinen Solo-Platten. Undenkbar bei der strikt songorientierten Fairport Convention, um noch einmal den Vergleich zu bemühen, gehörten Instrumentals bei Pentangle zum festen Repertoire. Was damals „progressiver“ gestimmte Rockfans der späten 6oer und frühen 70er Jahre durchaus beeindruckte. Sängerin Jacqui McShee durfte pausieren, wenn die beiden Gitarristen Instrumentals wie „Waltz“ improvisierten.
Die Firma Transatlantic war redlich bemüht, Pentangle als sprichwörtliches next big thimg zu vermarkten. Debüt-LP und eine (darauf nicht enthaltene) Single erschienen 1968 im Mai parallel. Letztere, wie die Liner Notes anmerken, in derselben Woche, in der Decca „Jumpin‘ Jack Flash“ von den Rolling Stones veröffentlichte. Der „Melody Maker“ erklärte den „Travelling Song“ von Pentangle trotzdem zur Single der Woche.
Kein Kommentar dazu in den Liner Notes. Aber die verschweigen nicht, dass derselbe „Melody Maker“ die Debüt-LP gleich von zwei Kritikern rezensieren ließ, nämlich dem Folk- und auch einem Jazz-Spezialisten. Letzterer erklärte, er schätze diese Platte durchaus: „But a jazz record? No, never.“ Das war sie im Sinne der Erfinder auch nie gewesen. Jansch & Co. müssen sich allerdings sehr gewundert haben, wieso ihr Manager ausgerechnet den berühmt-berüchtigten Shel Talmy für dieses und auch das Folge-Album anheuerte. Dass der, bekannt für seine Arbeit mit frühen Kinks und Who, ein Faible für Blues, Folk oder Jazz gehabt hätte und insofern prädestiniert gewesen wäre, die kollektive Kreativität von Pentangle maßgeblich zu fördern, konnte man von diesem Amerikaner kaum behaupten. Die Band dürfte ganz im Gegenteil froh darüber gewesen sein, dass er wenig bis gar nicht dreinredete. Die begriff sich hier wie auch bei allen Studio-Sessions für die nächsten LPs als eine Art musikalisches Versuchslabor, jederzeit offen für Ideen von außen. Mit dem Ergebnis, dass nicht eine dieser LPs eine definitive Band-Identität reflektiert. Anders als „Unhalfbricking“ kann auch keine von ihnen beanspruchen, sowas wie ein schlackenloses Meisterwerk zu sein.
Das war womöglich auch einer der Gründe dafür, dass es Colin Harper bei der Auswahl für dieses Box-Set gar nicht darauf anlegte, eine definitive Best of-Kollektion vorzulegen. „The Time Has Come“ ist das genaue Gegenteil davon: eine Mischung aus Aufnahmen der Band, aber fast genauso vieler Solo-Einspielungen der Mitglieder (auch schon mal mit Pentangle-Kollegen!), Alternativ-Takes, BBC-Fassungen und gänzlich neuer Abmischungen von anderen Bändern. Also eine Raritäten-Sammlung ersten Ranges für all jene Fans, die längst das halbe Dutzend früher Studio-Originale remastered ihr eigenen nennen, von denen auf den ersten beiden CDs jeweils bestenfalls eine Handvoll der Aufnahmen auftauchen. Auf der dritten CD findet man den Royal Festival Hall-Auftritt vom Ende Juni 1968 so weit wie von noch vorhandenen Bändern machbar rekonstruiert, erfreulicherweise drastisch gekürzt in den Passagen zwischen den Songs. Noch mehr extrem rares Material (konzertantes, Soundtrack-Beiträge, TV-Mitschnitte) bietet die vierte CD, darunter „Pentangling“ als fast ao-minütigen Marathon. Im Übrigen geniert sich Colin Harper nicht, in seinen profunden Liner Notes auch auf hervorragende Pentangle-Aufnahmen zu sprechen zu kommen, die hier gar nicht zu hören sind.