Prince

1999

Die Platte, die Prince’ Superstar-Phase einleitete

Im Jahr 1982 steuerte der Kalte Krieg auf ­einen Höhepunkt zu, Prince sah das Ende der Welt für spätestens 2000 voraus – und kommentierte die Apokalypse mit einem verzückten „Oops!“. Sein Song „1999“, nein, das ganze Album war Ausdruck ­einer fiebrigen Jetzt-oder-nie-Stimmung, umgesetztin nervöse Rhythmen, getauft „Minneapolis Sound“: Zum Drumcomputer spielte Prince Rockabilly-Gitarre und nutzte dort, wo Bläser erwartet wurden, lieber Synthesizer, was den Songs eine kalte, an die New Wave angelehnte Roboter-Ästhetik verlieh. Beim Sex in „Little Red Corvette“ ­pluckerten Dampfmaschinen. Prince war Elvis in ­Metropolis.

Ein Song wie „D.M.S.R.“ beweist, dass er keine Hierarchie der Gefühle kannte: Die Reihenfolge der von ihm gerufenen Wörter „Dance“, „Music“, „Sex“ und „Romance“ erscheint ohne kausalen Zusammenhang, vielmehr wie ein „Ja!“ zur Gleichzeitigkeit der schönsten Dinge. Wer all das 1982 zum ersten Mal hörte, dem wurde klar: Diese Musik wird niemals mehr vergessen werden.

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Nun, drei Jahre nach des Meisters Tod, macht der Prince-Nachlass ernst und lässt auf zehn LPs bzw. fünf CDs plus DVD erstmals eine Ahnung davon zu, wie viel Ausgangsmaterial einem Prince-Album vorangeht. Hier allein 24 Songs aus der Schatzkammer „The Vault“. „Vagina“ zeigt jenen später undenkbaren Prince, der seine sexuelle Identität unklar ließ, sich in einer „gay bar“ von jemandem „half-boy, half-girl“ an­getörnt fühlt, weil der eine Frau küsst – „the best of both worlds!“ Viele Songs waren derart gut, dass er sie bis zum Anfang des nächsten Jahrzehnts noch als Album-Tracks („Can’t Stop This Feeling I Got“), Singles („Bold Generation“, das zu „New Power Generation“ wurde) oder für Nebenprojekte (der Camille-Song „Feel U Up“) verwenden oder zumindest einplanen konnte.

Doch gerade bei Megaprojekten wie diesem „1999“-Set ist eine ­Bilanz der Versäumnisse notwendig. Einige sind verständlich. Gern sähe man Rohmaterial aus Prince’ ­erstem, nicht realisiertem Film, „The Second Coming“, aber möglicherweise ist es nicht vorzeigbar. Und die Suche nach dem Piano-­Demo von „Raspberry Beret“ trieb die Nachlassverwalter in den Wahnsinn – sie blieb leider erfolglos.

Prince: vom Star zum Superstar

Aber wie die ansonsten eher kümmerliche „Purple Rain“-Neuauflage von 2017 enthält auch diese Edition etliche Single-Versionen. Platzverschwendung! Prince-Singles sind Albumfassungen mit Ausblendungen ab Minute drei, und die kann man selbst her­stellen: Einfach die Stereoanlage immer leiser drehen. Dieser Platz hätte mit Un­bekanntem gefüllt werden müssen. Der Verzicht auf das verfügbare, wichtige „Extralovea­ble“ macht ratlos, während „Lust U Always“ womöglich aus Gründen der Reputationsbewahrung weggelassen wurde, weil Prince darin einer Frau mit Vergewaltigung droht, würde sie sich nicht bezirzen lassen. Man sollte nichts totschweigen. Denn auch das konnte Prince 1982 sein: ein Aggressor wie zu „Dirty Mind“-Zeiten, als die Welt sich von ihm abwendete.

„1999“ machte ihn dennoch zum Star, das zwei Jahre später veröffentlichte „Purple Rain“ dann zum Superstar. Die Zwischenphase war die faszinierendste ­seines Lebens. Es ist von unschätzbarem Wert, dass endlich Live-­Material aus jener Ära erscheint. „1999“ war ein Spätzünder, wurde erst nach Monaten zum Hit, doch Prince gebärdete sich bereits als größter Künstler aller Zeiten, wie das Konzert in Houston ­dokumentiert.

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Dort sah alles schon aus wie „Purple Rain“: Er fand zur Farbe Lila, brachte die Band auf Linie, sie musste nach strenger ­Choreografie tanzen, die Bühne war zwei­geschossig, er schwang sich an einem Torbogen her­unter, arbei­tete am Image als ultimativer Verführer, wie in „International Lover“. Das Solo seines Gitarristen Dez Dickerson in „Little Red Corvette“ würde das einzig markante eines anderen Musikers bleiben, das Prince bis zu seinem Tod zuließ.

Prince war von seiner Show derart überzeugt, dass er sämtliche Single-­Videos von „1999“ auf dieser Bühne drehte. Aber erst „Purple Rain“ war der durchgeplante Versuch, von allen geliebt zu werden, also auch vom weißen Rock-Publikum. Man stelle sich vor, das wäre misslungen. „1999“ gälte dann nicht als Vorstufe zum globalen Ruhm, sondern als das, wofür es wirklich steht und was einem diese überfällige Wiederveröffentlichung vor Augen führt: die Vision eines Künstlers, der einen Stil erfand und ihn als Sensation ausstellte.

Die Ersten sprachen von Genie.

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