Print-POD von Frank Schäfer

EDWARD

„NoExit“(7?edW8,90 Euro) von Daniel Grey Marshall wirft ein grelles Schlaglicht auf die Kindheits- und Pubertandenhölle. Dass Marshall mit seiner eigenen Biografie die exzessive Drogen-, Gewalt- und Kriminellen-Vita seines 15-jährigen Antihelden Jim beglaubigen kann, mag den gleichaltrigen Leser – und möglicherweise noch seinen Sozialarbeiter – interessieren. Für den, der vor allem Literatur will, ist dieses Buch ein Albtraum, weil hier kein adulter Lektor seine mildtätigen Finger im Spiel hatte. Das ganze unklare Gedankengequirl der Adoleszenz bildet sich hier ab, erzählerische Ungereimtheiten gibt es im Bäckerdutzend, das Buch ist bis zur Degoutanz versetzt mit emotionalen Überinstrumentierungen und metaphorischen Bocksprüngen. 1,0 „Bernsteintage“ (Kiepenheuer& WHsch, 16,90 Euro) von Maxim Biller versammelt sechs schlichte, angenehm unaufgeregte Geschichten, die das problematische Miteinander von Juden und Deutschen spiegeln. Mal scheint Versöhnung möglich: Etwa wenn einen alten Schriftsteller die Vergangenheit einholt und ausgerechnet sein bester Freund im „Spiegel“ enthüllt, dass auch er eine Zeitlang mit den Nazi-Wölfen geheult hat, seine jüdische Frau sich aber trotzdem nicht von ihm trennt. Ein andermal lässt sich so ein Vertrauensbruch nicht mehr kitten: Die Frau eines bekannten Prager Regisseurs, bekannt für seine Rührstücke über die Shoa, verlässt ihren Mann, als dieser auch noch ihre eigene Leidensgeschichte filmisch ausschlachtet. Aber wie dieser Zyniker am Ende Buße tut – er legt sich, Ende der 60er Jahre!, mit den tschechoslowakischen Behörden an, sorgt dafür, dass sein Film eingestampft wird und seine Karriere jäh ein Ende hat -, ist dann fast zu cineastisch für die Welt des 20. Jahrhunderts. Aber Biller weiß genau, was er macht, er lässt den Sohn der beiden die Geschichte aufrollen, und der ist Student an der Filmhochschule und sucht noch nach einem Stoff für seine Abschlussarbeit: Hier ist er! Nicht alle Erzählungen sind so brillant, aber misslungen ist keine. Am meisten freut man sich darüber, dass sie ganz ohne die Billersche Django-Attitüde auskommen. 3,5 „Am Rande“ (Stadtlichier Presse, 14 Euro) von Edward Dorn ist erschienen in der sehr verdienstvollen „Heartbeat“-Reihe des Verlags. Mit diesen schlichten, packpapierbraunen, aber sorgfältig gemachten Büchern schürft Verleger Ralf Zühlke in der Geschichte der Beat-Generation. Neben den bekannteren Autoren wie Gregory Corso, Lawrence Ferlinghetti, Richard Brautigan und demnächst auch Jack Kerouac, druckt er auch ein paar echte Entdeckungen und beweist somit, dass auch in dieser schon lange bewirtschafteten Miene noch ein paar Nuggets zu finden sind: Lew Welch, Albert Saijo und nicht zuletzt eben Edward Dorn.

Sein Roman „Am Rande“ von 1965, so eine Art literarischer Wiedergänger von Steinbecks „Grapes of Wrath“ und Woody Guthries Autobiografie „Bound for Glory“, beschreibt mit großem Ernst das Schickal einiger Tagelöhner im kalten, regnerischen Skagit Valley nahe Seattle, Mitte der 50er Jahre. Mit einem Bein sitzen die Protagonisten tief im Morast der Armut, aber mit dem anderen stampfen sie immer noch einen fröhlichen Rhythmus. Dorn schildert in einer realistisch genauen, immer sachgemäßen Prosa ihr Durchhaltevermögen, ihre Verbissenheit, ihr Phlegma, ihre Sauflust und gelegentlich auch Dummheit; hier treten Menschen auf, die bei aller Erbärmlichkeit der Umstände ihre Würde behalten. Dorns Erstling, und der Autor weiß das in diesem Fall wirklich am besten, „ist einfach eine soziologische Studie der Kellerkinder jener Zeit: die nie endende Geschichte des Hungers und der erdrückenden Umstände in einem Land des Überflusses“. Immer wieder gerät ihm der Text zu einer galligen Kritik des so genannten Wohlfahrtstaates. Genützt hat dieses Buch nichts, aber das macht es nicht schlechter.4,0 „Nacht des Orakels“ (Rowohlt, 19,90Euro) von Paul Auster ist eine literarische Zwiebel. Hat man eine Erzählhaut abgeschält, kommt darunter schon die nächste zum Vorschein. Eine Geschichte in der Geschichte in der Geschichte – und alle beziehen sie sich aufeinander. Der Schriftsteller Sid kauft nach langer, beinahe tödlicher Krankheit ein neues Notizbuch und fängt wieder an zu arbeiten, die Kladde inspiriert ihn, und eine Geschichte von Willkür und Ehebruch fließt aus ihm heraus, bis er bemerkt, dass die Realität sich unter ihrem Einfluss verformt, dass seine Ehe dadurch in Gefahr gerät. Vielleicht gehe es beim Schreiben nicht darum, orakelt denn auch ein weiser Schriftstellerkollege, „Ereignisse der Vergangenheit aufzuzeichnen, sondern Dinge in der Zukunft geschehenzulassen“.

Auster, der alte Schamane, möchte der Literatur ihre alte magische Funktion zurückgeben, die ihr die Moderne vor langer Zeit ausgetrieben hat. Man muss das nicht glauben, um an dem artifiziellen Kniff dieses Romans seinen Spaß zu haben. Man kann zusehen, wie das Buch geschrieben wird, das man gerade liest. Meta-Literatur also, aber kein bisschen blutarm, nicht mal kompliziert. 3,5 Paul Auster Nacht d e s Orakels DORN HM RRNDE

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