Review: Quentin Tarantino – „Cinema Speculation – Die Filme meines Lebens“

Ein Meisterregisseur schreibt über die Filme seines Lebens – und Djangos wahren Vater

Tarantinos Film-Analysen sind derart leidenschaftlich, dass man sich fragt, was man falsch gemacht hat, wenn er Filme lobt, die man nicht mag, und jubelt, wenn er Filme in den Himmel hebt, für deren Zuneigung man sich womöglich schämt. Kennt man die von ihm versilberten Filme nicht, googelt man sie, um zu ihm aufzuschließen. Es ist nicht selbstverständlich, dass der 59-Jährige versucht, als Kritiker Meriten zu sammeln. Er ist ein Oscar-prämierter Regisseur einiger der wichtigsten Kinoarbeiten der letzten 30 Jahre. Wer Filme drehen kann, muss nicht mehr darüber schreiben. Anders als Godard, Truffaut, Bogdanovich und Schrader geht Tarantino den umgekehrten Weg.

In dieser Autobiografie beschreibt er seine Kindheit anhand von Filmen der 1970er-Jahre, die ihn erwachsen machten, überwiegend Werke des New Hollywood. Seine Schlussfolgerungen sind genialisch, bisweilen dreist – aber einer gewissen Logik folgend. Travis Bickle, der Antiheld aus Scorseses „Taxi Driver“, hat entgegen dessen Behauptung nicht im Vietnamkrieg gedient, Tarantino raubt ihm also das Anrecht auf eine Psychose. Bickle habe sich seine Militärjacke einfach … im Army-Shop gekauft. Woran macht Tarantino das fest? Bickle sei ein Rassist, weil er einmal das N-Wort benutzt. Und wer in Vietnam mit – oft schwarzen – Kameraden kämpfte, der könne kein Rassist sein. Deshalb sei Bickle ein Blender. Unsinn? Vielleicht. Aber vor Tarantino ist niemand über diese Kleinigkeit im „Taxi Driver“-Drehbuch gestolpert. Er ist der erste Rezensent, der das Fundament ins Wanken bringt.

Über manche Regisseure fällt er gebührend vernichtende Urteile: „Paul Schrader ist ein glänzender Drehbuchautor mit einer riesigen, eklatanten Schwäche. Er kann keine Genrefilme schreiben.“ Es gibt einige Listen, die, wie es sich für Listen gehört, auf den Tisch geknallt, aber nie erklärt werden und dadurch mythologische Aufwertung erhalten: „Was Künstler anging, deren filmisches Schaffen sich durch Kompromissloslosigkeit auszeichnete, gab es in den Achtzigern David Lynch, Paul Verhoeven, Abel Ferrara, Terry Gilliam, Brian De Palma (teilweise) und David Cronenberg. Das war’s.“ Und es gibt Sätze, die einfach lustig sind. Tarantino schwärmt von Don Siegels „Flucht von Alcatraz“ und Clint Eastwoods Umsetzung des Knastausbruchs: „Der Plan erfordert so viel Talent und Intelligenz, dass sie dafür eigentlich Bewährung hätten bekommen müssen, wenn sie nicht gestorben wären.“

Das Sachbuch ist Tarantinos Format – anders als der Roman. Seine Novelization zu „Once upon a Time in Hollywood“(2021)  war nur in jenen Passagen stark, in denen der Autor als auktorialer Erzähler über Filme schwadroniert; diese Ausführungen dann ausgerechnet in den Mund seines intellektuell eher unauffälligen Protagonisten Cliff Booth zu legen, erschien unglaubhaft, gedrechselt. Tarantino hat zu viel Meinung, als dass er sie Romanfiguren schenken müsste.

Quentin Tarantino

Tarantinos Passagen über seine eigene Kindheit in „Cinema Speculation“ sind vortrefflich. Was braucht es, um ein Filmsüchtiger zu werden? Er verfällt nicht in Selbstlob, zitiert seine Mutter. Sie ließ ihn alle nicht-jugendfreien Streifen sehen. „Quentin, mir macht es mehr Sorgen, wenn du die Nachrichten schaust. Ein Film wird dir nicht wehtun.“ Etwas zu bewusst nebensächlich flechtet er in seine Coming-of-Age-Story regelmäßige Besuche bei einer Schulpsychologin ein. Mit der Therapeutin redete er nicht über Probleme, sondern Peckinpahs „Straw Dogs“. Hier soll der Eindruck entstehen, dass kein Weg am Weltruhm vorbeigeführt hätte.

Aber wie wird man zu einem Menschen, der auch beruflich mit Kino zu tun hat? Es gibt zwei Wege dahin. Der eine: Man schaut schon in sehr jungem Alter sehr viele Filme. Der bessere: Man schaut in sehr jungem Alter sehr viele Filme und redet mit einem Mentor darüber (und sei es die Schulpsychologin). Das letzte Kapitel dreht sich um den Ex-Partner von Tarantinos Mutter, der mit ihm über Filme sprach. Floyd Ray Wilson war ein Mann, den der junge Quentin liebte, eine Liebe, die nicht ganz erwidert wurde, der Erwachsene hatte anderes im Sinn. Tarantinos Porträt dieses kleinkriminellen Streuners, der nur für kurze Zeit in sein Leben trat, und von dem er nicht weiß, wo er ist, ob er überhaupt noch lebt, ist eine Huldigung. Wilson schrieb Drehbücher, die damals keine Chance auf eine Veröffentlichung hatten, die Quentins Fantasie aber beflügelten. Darunter die Geschichte eines Schwarzen, der sich aus der Sklaverei befreit und als Cowboy Rache nimmt an denjenigen, die ihn knechteten. Tarantino beschließt seine Erzählung mit dem Moment, als er Jahrzehnte nach der schicksalhaften Begegnung auf die Oscar-Bühne tritt, um die Auszeichnung für das „Beste Originaldrehbuch“ für „Django Unchained“ abzuholen.

Er schreibt von Reue, bis in den letzten Buch-Satz: Hätte er sich doch auf der Bühne bei seinem Mentor Wilson für den Impuls zu „Django“ bedankt.

(Kiepenheuer & Witsch)

Franco Origlia Getty Images
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