Quiz Show – Der Skandal von Robert Redford
ab 16. Februar
Es war einmal eine Zeit, da fielen Millionen Amerikaner für das Fernsehen von ihrem Glauben ab. Sie erhoben die Glotze zum Götzen und hofften, bessere und klügere Bürger zu werden. Abends schalteten sie verzückt Sendungen ein, die den Charme von Schularbeiten hatten und die sich nur ein manischer Studienrat ausgedacht haben konnte. Sie hießen Quiz-Shows, und ein Moderator befragte die Kandidaten etwa über Napoleon oder zur Relativitätstheorie. Jene Leute, die dort mit einem unerhörten Wissen verblüfften, waren hinterher reich. Das war toll – zu toll. Entgeistert schrieb ein Zuschauer an einen der Sender: „Ich habe in Princetown und Harvard studiert und halte drei Doktorate – ich konnte die Fragen nicht beantworten. Aber dieser Kerl, der nicht einmal zur Mittelschule ging, wußte alles – Schwindel!“ Charles Van Doren (Ralph Fiennes) ist sehr belesen, und niemand hätte den Universitäts-Dozenten einen Schwindler genannt. 1956 wird er Kandidat beim Ratespiel „Twenty-One“ – und zum Nationalhelden. Van Doren bleibt 14 Wochen ungeschlagen, gewinnt 129 000 Dollar, erscheint auf der Titelseite der „Times“, gibt Autogramme an die schönsten Mädchen und beweist, daß Grips sexy sein kann. Aber der amerikanische Traum um den intellektuellen Popstar zerbricht, so wie Amerikas Gigantismus stets auf tönernen Füßen errichtet wird. Bei „Twenty-One“ war getürkt, gespielt, geplant, und Van Doren hatte vor der Sendung die Fragen und Antworten erhalten. Schwindel. Eine nationale Tragödie. So war es tatsächlich, damals in den 50er Jahren, als das noch junge Fernsehen seine Unschuld verlor. Und davon erzählt Robert Redford in „Quiz Show – Der Skandal“. Als junger Schauspieler trat Redford in einer dieser Ratesendungen auf. Er gewann eine Angelrute im Wert von 75 Dollar. Nun wird seine vierte Regie-Arbeit für den Oscar gehandelt, dem größten und verlogensten Quiz-Preis der Welt. Amerika starrte auf die Bildschirme, als die Quiz-Shows im Fernsehen gewaltige Einschaltquoten erreichten, die das Kino in seine erste Krise stürzten. Rund 50 Millionen Amerikaner sahen jeweils montags „Twenty-One“ auf NBC. Seit Wochen ist Herbie Stempel ([ohn Turturro) der Champion. 49 000 Dollar hat er bislang gewonnen. Doch der Manager (Martin Scorsese) des Tonikum-Fabrikanten Geritol, der Sponsor der Sendung, sieht in diesem Unkischen Brillenträger und Bronx-Juden längst keine ideale Identifikationsfigur für seine Produkte mehr. „Der hat ein Gesicht fürs Radio“, spottet er über Stempels faulen Zähne und schiefen Mund. Ein Verlierer eigentlich. Unverhofft erscheint da Charles Van Doren beim Sender. Die NBC-Produzenten Dan Enright (David Paymer) und Albert Freedman (Hank Azaria) erkennen in ihm ihren Hauptgewinn: Der junge Akademiker ist smart, seriös und der Sohn des bekannten Lyrikers und Literatur-Professors Mark Van Doren (Paul Scofield). Sie brauchen ihn, den offensichtlichen Bildungsbürger, um Zweifel an der Korrektheit ihrer Show zu beseitigen. Sie weihen ihn in die Spielregeln ein: Die Antworten auf die Fragen werden vorher einstudiert, er müsse in der isolierten Kabine nur dramaturgisches Zaudern vortäuschen. Und Charles Van Doren, der wenig begüterte Denker, verfällt dieser Versuchung. Zu Stempel sagt Enright, er habe gegen Van Doren bei der Frage zu patzen, welcher Film 1955 den Oscar gewonnen habe. Stempel windet sich und preßt verzweifelt hervor: „Aber jeder weiß doch, daß es ,Molly‘ war!“ Enright verächtlich: ,Ja, begreifen Sie denn nicht diese Dramatik?“ Eine menschliche Tragödie. Die besseren Filme waren immer schon, wenn Individuen an den Intriganten der Macht scheitern, die Emotionen an kühlen Fassaden abprallen, sich die Moral nur noch als Binsenweisheit erweist. Und es ist mehr als eine biographische Notiz, wenn hier das Schauspielschaffen des Regisseurs Redford herangezogen wird. Redford, der in vielen Filmen lediglich seine Attraktivität als Mann ausspielte, war „Bill LEINWAND NEU IM KINOMcKay – Der Kandidat“ und einer der „Unbestechlichen“ Reporter in der Watergate-Affäre. „Quiz Show – Der Skandal“ schöpft daraus. Den Thriller aber hat Redford in einem Drama angelegt, das nicht die Sensation, den Skandal ausschlachtet. Ihm geht es um den großen Zusammenhang von Macht, Manipulation, Meineid, Geld und Geltungssucht und den Aufbruch in eine Ära, die noch immer andauert. „It’s money. Entertainment It’s a great Quiz Show“, verteidigt sich Van Doren gegenüber seinem ehrbaren Vater, der seine Grundwerte vor den Zeichen der Zeit schützen wilL „TV is a public trust“ So beweist Redford: Die üble Frucht, die Nixon während des Wahlkampfes im Fernsehduell mit dem ausspio-nierten Wissen über seinen Gegenkandidaten geerntet hat, wurde von den Quiz-Shows gesät. Redford bezieht sich auf die amerikanische Geschichte, um daraus auf die Gegenwart zu schließen. In der Bundesrepublik der 60er Jahre wurden die Quizmaster mit „Hätten Sie’s gewußt?“ und „Der große Preis“ zu falschen Koryphäen. Seit das Privatfernsehen sendet, ist die Manie vom Gewinn und kleinbürgerlichen Show-Ruhm hierzulande noch monströser geworden. Daher erbost sich der Intellektuelle Roger Willemsen, die Gäste von Margarethe Schreinemakers seien mit fiktiven Stories präpariert. Nur: Das öffentliche Vertrauen ist heutzutage kaum noch zu erschüttern. Um der Komplexität gerecht zu werden, hat Redford auf eine Dramaturgie zurückgegriffen, die sehr konventionell ist, ihn jedoch als besonnenen Erzähler ausweist Kleine Szenen deuten den Wandel an, der sich im Großen längst vollzogen hat „In god we trust“, steht an den Wänden jedes amerikanischen Gerichtssaals. Als der Bundesstaatsanwalt Dick Goodwin (Rob Morrow) vergeblich eine Untersuchung zu möglichen Betrügereien bei Quiz-Shows beantragt, streift Michael Ballhaus mit der Kamera jene Worte im Rücken eines Richters. Und zu Beginn des Films ergötzt sich Goodwin am luxuriösen Interieur eines Chrysler 300 D, der in einem Autohaus ausgestellt ist und den er sich wohl nie kaufen kann. Aus dem Radio hört er die Nachricht vom Start des sowjetischen Sputniks, dann singt Bobby Darin sein Mahnlied „Mack The Knife“. Redford legt die subtile Manipulation und die Motivation aller Beteiligten frei. Der jüdische Herbie Stempel und sein WASP-Konkurrent Charles Van Doren dienen dabei als Allegorien der amerikanischen Klassengesellschaft. Er fuhrt den Zwiespalt der Charaktere vor, die dem unmoralischen Angebot der Quiz-Show unweigerlich erliegen mußten, denunziert aber niemanden. John Turturro und Ralph Fiennes spielen diese Ambivalenz glänzend aus. Vor allem John Turturro ist als neurotischer Ratekopf und Familien-Pascha ein bodenständiger „Barton Fink“, der nicht wahrhaben will, daß sein Losglück nur aus Rechenschiebern der Unterhaltungsindustrie stammt „Die Quiz-Show ist mein Leben“, jammert Stempel. Weil er bekennen muß, Fragen und Antworten gekannt zu haben, wendet sich seine Frau von ihm ab. Turturro bewahrt jedoch mit kauziger Gestik jede Situation vor der Rührseligkeit. „Das ganze Leben ist ein Quiz“, kalauerte auch der deutsche Komiker Hape Kerkeling. Manche Kinobesucher werden nach diesem Film ihren Glauben ans Fernsehen verlieren. Bis übermorgen. Oliver Hüttmann