Radiohead

A Moon Shaped Pool

Thom Yorke spielt die Herzkarte – und gewinnt.

„We Call Upon The People / People Have This Power /The Numbers Don’t Decide / Your System Is A Lie“. Das System ist eine einzige Lüge, in der Politik ist was faul – diese Anklage kennen wir von Thom Yorke. Aber sein Aufruf an die Menschen – „Leute, ihr habt die Kraft“ – wirkt fast so, als möchte der Radiohead-Sänger zum Sprecher des Volkes werden. Er demonstriert eine neue Zugänglichkeit. Am Anfang von „The Numbers“ hören wir verzogene Flöten, später eine Akustikgitarre, dann Gainsbourg-Streicher. Die Band hat auf ihre mittelalten Tage tatsächlich noch einmal versucht eine Hymne zu komponieren. „The future is inside us /It’s not somewhere else“. Yes!

Thom Yorke braucht seine Feinde um auf Betriebstemperatur zu kommen. Das war bei „You And Whose Army?“ von Amnesiac (2001) so, das er an Tony Blair richtete; das war bei „Hail To The Thief“ (2003) so, welches er implizit George W. Bush widmete. Der Vorgänger von „A Moon Shaped Pool“, „The King Of Limbs“  (2011), hatte deshalb ein Problem: Was Kritiker gerne mit der Floskel „Rückzug ins Private“ beschreiben, führte bei jener Platte zumindest zu einer diffusen Haltung, einer Ziellosigkeit, dem Verzicht auf jegliche an die Zivilisation gerichtete Forderung. Stattdessen ein Aufsaugen der Natur, dessen, was seit Millionen Jahren um uns ist. Mit anderen Worten: Es fehlte Radiohead irgendwie ein Auftrag.

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„A Moon Shaped Pool“ startete mit der Vorabsingle „Burn The Witch“ recht aggressiv, Yorke übte sich – vielleicht etwas zu typisch – wieder in machtpolitischen Slogans der Zeitgeschichte. Dieses Wir-verwenden-die-Worte-der-Machthaber-gegen-sie selbst. Manche Zeilen sind längst in die Popkultur eingegangen, Radiohead selbst verwendeten sie ab 2003 häufig in vollem Bewusstsein als Klischee: „Burn The Witch“, „And If You Float You Burn“, „Shoot The Messenger“; Worte der da Oben, die Radiohead nun wieder für den kleinen Mann reklamieren. Colin Greenwood spielt dazu den legendären „Airbag“-Bass; Jonny Greenwood deutet mit seinem Streichergewitter zudem wieder an, dass er als Arrangeur unverzichtbar bleibt. Gerade in seinen Hollywood-Arbeiten bildete Greenwood sich unfassbar gut weiter, sein verschoben klingendes Orchester, etwa in P.T. Andersons „Inherent Vice“, verdunkelt jeden kalifornischen Himmel. Radiohead dürfen davon auch profitieren.

Krise? Welche Krise?

Was nicht heißt, dass Radiohead 2016 ihren Gegner benennen können. „Burn The Witch“ bleibt inhaltlich nicht zu fassen, und als einen Tag nach Veröffentlichung des Videos die Macher – vielleicht gezwungenermaßen – verlauten ließen, dass es ein Kommentar zur Flüchtlingskrise sei, dachte man: Oha! Das also. Message kam an, mit ein wenig Hilfe.

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So wie „The King Of Limbs“ ist auch „A Moon Shaped Pool“ (wäre „Dawn Chorus“ nicht der schönere Titel gewesen?) eher unpolitisch, vielleicht privat politisch. Die Texte stecken voller Eigen-Motivationen, „You Really Messed Up Everything / But You Can Take It All Back Again“ („Ful Stop“) sowie Zukunftspläne, „I’ll Drown My Believes / To Have Your Babies“ („True Love Waits“). Mit „Glass Eyes“ sowie „Daydreaming“ traut sich Yorke gar sentimentale Klavierstücke anzustimmen, Schritte auf der Memory Lane, die ganz ohne Falltüren, ohne Wendungen zum Bösen, ohne Crescendo auskommen, wie sie noch in „Amnesiac“ so prägend waren oder in „All I Need“.

Besonders „Daydreaming“ begibt sich in eine Coldplay-Richtung á la „Ghost Stories“ – ein Lied, das blinkt. Die Magie der Glühwürmchen. Hätte man sich vielleicht nicht vorstellen können, aber das dem ähnliche, ausgerechnet an Bossa nova erinnernde, wie eine Lagerfeuer-Sitzung klingende „Present Tense“ ist womöglich das schönste Lied der Platte. Es enthält sogar, wenn einen nicht alles täuscht, eine, Gastvokalistin mit Elfengesang-Intonation (die Band hat am Sonntagabend noch keine Liste mit Gastmusikern veröffentlicht). Yorke singt der Frau entgegen: „In You I’m Lost“. Ein echter Lovesong.

Ein Album als Kraftakt

Die Songs auf „A Moon Shaped Pool“ sind vielleicht nicht mehr so präzise und Verse-Chorus-Verse-artig aufgebaut wie diejenigen von „In Rainbows“ (2007). Aber nach dem etwas teilnahmslos wirkenden zweiten Soloalbum Yorkes, „Tomorrow’s Modern Boxes“ (2014), sowie dem Gefrickel-Gekasper seines Nebenprojekts Atoms For Peace war ein deutlich schwerer zugängliches Album zu erwarten: Das ist nicht der Fall. Auch, wenn Schlagzeuger Phil Selway hier weniger Einsätze als sonst verzeichnet, und die Frage nach dem Verbleib des Rhythmus-Gitarristen Ed O‘ Brien sich mehr und mehr zum Running Gag entwickeln dürfte – „A Moon Shaped Pool“ klingt wie das Werk einer Band. Das könnte Yorke Kraft gekostet haben, Zugeständnisse, aber als Hörer darf man dankbar sein.

Wer dieses Werk liebend aufsaugt, wird sich sogleich fragen: Müssen wir jetzt wieder mindestens vier Jahre auf ein neues Album warten? Taucht das Enigma fortan nur noch zweimal im Jahrzehnt mit neuen Songs auf? „A Moon Shaped Pool“ hat tatsächlich etwas von einem Kraftakt, drei der elf Stücke sind bekannt, keine Neukompositionen, sondern Bühnen-erprobte Fassungen, „True Love Waits“ datiert gar auf die 1990er-Jahre. Die Tracklist ist, lässt man den „The“-Artikel von „The Numbers“ weg, sogar alphabetisch strukturiert, von B bis T. Das gibt’s in der Studioarbeit oft, um Lieder überhaupt irgendwie zu ordnen. Hat man dann vielleicht für die Veröffentlichung einfach so belassen.

Was der Platte vielleicht fehlt, ist ein Punch, irgendeine Klang-Idee, die Radiohead wieder als eine der wichtigsten Bands des Planeten etabliert. Um die Jahrtausendwende haben die fünf Briten Ton und Rhythmus in der Popmusik neu aufgestellt, sie sind die Paten des „Indietronic“ geworden. Aus den Wegbereitern sind nun Mitbewerber um neue Musik geworden.

Was nicht heißt, dass „A Moon Shaped Pool“ nicht noch weiter wachsen wird, als es das schon beim zweiten Hörgang tut. Falls Radiohead aber Pech haben, werden sie zu dem, was sich mit „The King Of Limbs“ angedeutet hatte: die guten alten Freunde, über deren Wiedersehen man sich freut, die aber nach einem Jahr wieder aus dem Sinn verschwunden sind. Die Regel gilt ja noch immer, unter Freunden, in der Musik: Je länger man auf sich Warten lässt, desto größer werden die Erwartungen.

Auf Twitter: @sassanniasseri